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»Wir wollen die Naziszene in Nordhessen umkrempeln«

Der Linke-Abgeordnete Hermann Schaus zum Untersuchungsausschuss, der nach dem Mord an Walter Lübcke eingerichtet wurde

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Urteil im Lübcke-Prozess ist gesprochen. Wie geht es nun mit der Arbeit im Lübcke-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags weiter?

Der Ausschuss wird sich mit den offen gebliebenen Fragen aus dem Prozess beschäftigen und darüber hinaus die Arbeit der Behörden untersuchen. Im Prozess wurde deutlich, wie defizitär die Ermittlungen geführt wurden und dass das Umfeld von Ernst und H. bisher nahezu völlig unbeachtet blieb.

Hermann Schaus

Der 65-Jährige ist innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Hessischen Landtag und Obmann im Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke. Der Politiker ist ein Experte auf dem Gebiet Rechtsradikalismus und dessen Bekämpfung. Über Perspektiven und Probleme bei der Arbeit des Untersuchungsausschusses sprach mit Schaus für »nd« Hans-Gerd Öfinger.

Hat es Sie überrascht, dass die AfD im Kreis Kassel-Land den militanten Neonazi Christian Wenzel für die Kommunalwahl aufgestellt und erst durch öffentlichen Druck seine Mitgliedschaft annulliert hat?

Überraschend kam dieser Vorgang nicht. Jeder, der die nordhessische Neonaziszene nur ein wenig kennt, wusste, wer Wenzel ist, sicher auch die AfD-Mitglieder, die diese Liste beschlossen haben. Sie wollten das so! Die AfD steht für völkisch-rassistische und neonazistische Positionen, die sich höchstens in der öffentlichen Darstellung von Rechtsradikalen und -extremisten abgrenzt. Insofern war Wenzels Aufstellung konsequent. Der anschließende Rückzug ist ein erneutes Ausrutschen auf der Tastatur, ein angebliches Missverständnis oder Unwissen über dessen Vergangenheit. So was macht die AfD immer dann, wenn es öffentliche Empörung gibt! Es gab aber keine Distanzierung inhaltlicher Art - das hätte ihre Klientel verschreckt. Die Frage ist eher, wie viele bekannte Neonazis sich noch auf AfD-Listen befinden.

Könnte die Personalie Christian Wenzel nun auch ein Thema für den Untersuchungsausschuss sein?

Als guter Bekannter Stephan Ernsts und zentraler Neonazi in Nordhessen wird Christian Wenzel mit Sicherheit thematisiert werden. Bereits im NSU-Untersuchungsausschuss wurde er befragt. Da wir dieselben Strukturen im Umfeld von Ernst und H. wieder vorfinden, werden wir uns natürlich auch wieder mit ihm beschäftigen.

Sie wollten die Prozessakten von rund 25 Neonazis anfragen und haben inzwischen, offiziellen Angaben zufolge, nach langem Bohren und einem entsprechenden Gerichtsbeschluss Akten bekommen. Was können Sie über den Inhalt sagen?

Bisher leider noch nichts. Trotz gegenteiliger Pressemitteilungen des Ausschussvorsitzenden liegen die Akten dem Ausschuss noch nicht vor. Sie befinden sich seit Ende Dezember beim Generalbundesanwalt für zusätzliche Schwärzungen und wurden uns bisher nicht zugestellt. Die von uns angefragten Personenakten zu 25 Neonazis im Umfeld Ernsts werden weiter zurückgehalten, da der Generalbundesanwalt noch sogenannte Strukturermittlungen in diesem Bereich durchführt. Der Verfassungsschutz zählt selbst übrigens 65 Neonazis zum Umfeld von Ernst und H. Deshalb haben wir bereits weitere Personalakten angefordert. Unsere Arbeit ist also aufgrund fehlender Akten leider immer noch nur stark eingeschränkt möglich.

Erwarten Sie, dass der Untersuchungsausschuss das rechte Netzwerk um Ernst weitgehend ausleuchten und aufklären kann?

Unser Anspruch ist es, die nordhessische Naziszene endlich umzukrempeln und so weitere Taten zu verhindern. Dies wird aber auch vom Verhalten der anderen Fraktionen, besonders den Regierungsfraktionen CDU und Grüne, im Untersuchungsausschuss abhängen und von der Zuarbeit der Behörden. Wir sind zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit der demokratischen Opposition die Arbeit zügig vorantreiben wird. Von Behördenseite wurden hingegen erneut Akten mit erheblichen Schwärzungen vorgelegt.

CDU und Grüne spielten bei der Einrichtung des Ausschusses zum Behördenversagen beim NSU auf Zeit und enthielten sich sogar im Landtag. Sind sie jetzt kooperativer, wenn es um die Rolle der Behörden beim Lübcke-Mord geht?

Zumindest dem Einsetzungsbeschluss haben sie zugestimmt. Da hier mit Lübcke ein früherer CDU-Landtagsabgeordneter, also ein ehemaliger Kollege aus ihren Reihen, getötet wurde, erwarten wir jetzt mehr Entgegenkommen bei der Aufklärungsarbeit. Inwiefern eine Kooperation in der inhaltlichen Ausschussarbeit möglich sein wird, muss sich noch zeigen. Zumindest in den ersten Sitzungen wurde aber leider erneut klar, dass die Angst vor einer Aufdeckung gravierenderer Behördenfehler in ihrem eigenen Verantwortungsbereich weiterhin sehr groß ist.

Sie fordern eine Änderung des Hessischen Untersuchungsausschussgesetzes. Was müsste hier dringend geändert werden?

Gerade während der Corona-Pandemie ist die Öffentlichkeit für Ausschusssitzungen schwer zu gewährleisten. Hier wäre eine Übertragung öffentlicher Sitzungen per Livestream wünschenswert. Das Gesetz schließt dies bisher aus. Ein weiterer Punkt ist die Regelung von Klagemöglichkeiten des Untersuchungsausschusses. Dass wir beim Oberlandesgericht Frankfurt gegen den 5. Strafsenat desselben Gerichts wegen der zunächst verweigerten Herausgabe der Prozessakten klagen mussten, war ungünstig.

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