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Der etwas andere Neustart

Die alpine Ski-WM soll einen Olympiaort neu beleben, doch dafür fehlen die Fans

  • Elisabeth Schlammerl, Cortina d’Ampezzo
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor einer Bar sitzen ein paar Gäste unter einem Sonnenschirm und nippen an ihrem Aperol Spritz. Im exklusiven Sportgeschäft gleich nebenan in der Fußgängerzone des Corso Italia dekoriert eine Verkäuferin ihre Schaufenster neu, während zwei Damen in Pelzjacken vorbeibummeln. Es wirkt alles fast wie immer in Cortina d’Ampezzo, dem italienischen Dolomitenort mit der bizarren Mischung aus mondänem Flair und morbidem Charme. Ein paar Meter weiter aber gibt es doch einen Hinweis darauf, dass hier nicht nur das öffentliche Leben nach den ersten Lockerungen in der vergangenen Woche wieder erwacht, sondern gleichzeitig auch ein sportliches Großereignis stattfindet, die alpinen Ski-Weltmeisterschaften.

Auf den Kirchturm wird abends das Logo der Titelkämpfe projiziert. Eine Seite des Hauptplatzes ist zudem abgeriegelt, so wie immer bei den Weltcupveranstaltungen der Skirennläuferinnen, die regelmäßig in Cortina ausgetragen werden. Auf der kleinen Bühne an der Westseite finden dann immer die Siegerehrungen statt, aber jetzt hat dort nur ein regionaler Radiosender sein Studio errichtet. Wegen der Corona-Pandemie wird es ohnehin keine öffentlichen Auftritte der Athletinnen und Athleten geben; die Medaillen bekommen sie gleich im Ziel überreicht. Applaus gibt es dann nur von den Betreuern und Trainern. Denn Zuschauer sind, wie bei den Weltcups, in diesem Winter nicht zugelassen. »Das fühlt sich nicht nach einer WM an«, hat Federica Brignone, Gesamtweltcupsiegerin und eine der Medaillenhoffnungen der Gastgeber, noch am Rande des Weltcups in Garmisch-Partenkirchen geklagt. Dass nun gleich der erste aussichtsreiche Wettbewerb für sie, die Kombination der Frauen, am Montag nach Regen- und Schneefällen am Wochenende ausfällt, dürfte ihre Laune nicht verbessert haben, zumal zunächst noch kein Ausweichtermin im engen WM-Kalender gefunden worden ist.

Auch die Einheimischen haben sich mehr von dem Event erhofft. »Eine Ski-WM ohne Zuschauer ist wie eine Torte ohne Schlagsahne«, sagt zum Beispiel Kristian Ghedina. Der ehemalige Weltklasse-Abfahrer ist in Cortina geboren, seine Familie betreibt hier eine Pizzeria. Niemand widerspricht ihm, die Organisatoren hätten es ja auch gerne anders gehabt. Vor 65 Jahren fanden in Cortina die Olympischen Winterspiele statt, das Ereignis hat den damals noch verschlafenen Ort mit dem atemberaubenden Bergpanorama verändert. Die Reichen und Schönen trafen sich alsdann hier, Cortina diente als Filmkulisse für einen James-Bond-Film und andere Hollywood-Streifen. Der Glanz ist mittlerweile jedoch ein wenig verblasst, diese WM hätte der in die Jahre gekommenen Infrastruktur einen Schub geben können.

In Italien, das im Frühjahr 2020 so heftig von Corona betroffen war wie kein anderes europäisches Land, gelten nun aber andere Prioritäten. Als »Signal für das ganze Land« bezeichnet Flavio Roda daher diese WM. Es sei »ein wichtiger Neustart«, so der Präsident des italienischen Skiverbandes. Man wolle beweisen, dass ein internationales Großereignis auch in Pandemiezeiten funktionieren kann. Mehr als 600 Athleten aus 71 Ländern starten bis zum 21. Februar in Cortina. »Die ganze Welt schaut auf uns«, sagt Guiseppe Pierro, Abteilungsleiter in Italiens Sportministerium. Zumindest die Sportwelt. Schließlich sind es die ersten größeren Titelkämpfe im Wintersport seit dem Corona-Ausbruch.

Rund 90 Millionen Euro beträgt das WM-Budget, einen Teil davon haben die Italiener ins Hygienekonzept investiert. Das Organisationskomitee übernimmt dabei all das, was in diesem Weltcupwinter schon gut geklappt hat, vor allem das sogenannte Bubble-System. Ein paar zusätzliche Maßnahmen kamen noch dazu. Zwei negative Coronatests vor der Anreise sowie einer bei der Ankunft sind für alle Beteiligten Voraussetzung, um eine Akkreditierung zu bekommen. Während der WM sind noch mal Schnelltests alle drei Tage vorgeschrieben. Dazu kommen Temperaturmessungen, eine Ganzkörper-Desinfektionsanlage sowie Bewegungskontrollen und Abstandsmessungen mit Hilfe eines Trackers, der piept, wenn man sich gegenseitig zu nahe kommt. Die Desinfektion sei freiwillig, lässt die freundliche Dame am Eingang des Medienzentrums wissen, ehe sich dann doch jeder einmal in den Glaskasten stellt und von oben bis unten einsprühen lässt.

Den Sportlerinnen und Sportlern wird derweil geraten, sich möglichst komplett zurückzuziehen und nur zwischen Hotel und Rennpisten zu bewegen. Aufenthalte im Ort sind auf ein Minimum zu beschränken. Auf den Einkaufsbummel auf dem Corso Italia müssen sie wohl verzichten.

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