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Loblied auf den archaischen Kämpfer

Vom Tankwart und Militärhistoriker und intellektuellen Krieger - das Beispiel Sönke Neitzel

  • Johannes Klotz
  • Lesedauer: 5 Min.

Er sei eher zufällig zu seinem Leib- und Magenthema gekommen, plauderte er im Talk bei Jörg Thadeusz im WDR aus. Bereits als Tankwart bei der Bundeswehr 1987/88 begann er sich für die Luftwaffe der Wehrmacht zu interessieren. Seine »militärhistorische Unbefangenheit« habe er in Großbritannien gelernt, wo er Anfang der 2000er Jahre lehrte. Britischer Premier war damals Tony Blair, der den »Krieg der Willigen« auf dem Balkan, in Irak, Afghanistan und Libyen mittrug: durch Kampftruppen und Luftwaffe. Mittlerweile hat sich Sönke Neitzel bei deutschen Militärs, dem Bundesverteidigungsministerium, der Deutschen Gesellschaft für Sicherheitspolitik und dem Bund deutscher Kriegsgräberfürsorge beliebt gemacht.

Der Militärhistoriker erfährt Anerkennung als Gutachter und Berater von fast allen bürgerlichen Medien. Politik soll seiner Meinung nach vom Krieg her gedacht werden. Deutschnationale Denkmuster aus der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg schimmern in seinen Publikationen durch, als Kriegsgegner, Pazifisten und Antimilitaristen als »Schwarmgeister« und Utopisten gebrandmarkt worden sind. Auch Neitzel macht sich über Zögerer und Zauderer lustig, steht offenkundig auf Seiten des Heeresinspekteurs und Fallschirmjägers Hans-Otto Budde (2004-2010) und des Generalinspekteurs Klaus Naumann (1991-1996), die sich den Typ des »archaischen Kämpfers« zurücksehnten. Denn, wenn man schon 45 Milliarden Euro für das Militär ausgäbe und sich an der »Front« in Litauen befinde, müssten die Infanteriekompanien und »rauen Männergesellschaften« kriegsfähig sein, liest man in Neitzels neuem Buch (S. 533). Man stößt hier auf Riten, wie wir sie aus Kriegsfilmen wie »Platoon« kennen. »Tribal cultures« ist sein Zauberwort für soldatische Tugenden. Besondere Leistungen der Soldaten im Kriegseinsatz seien zu ehren, so Neitzel, der sich ebenfalls eine »Neustiftung des Eisernen Kreuzes« vorstellen kann (S. 545). »Stahlgewitter«-Prosa schimmert durch. Dass am Hindukusch keineswegs Deutschland verteidigt wird, wie von Anbeginn des Afghanistan-»Einsatzes« der Bundeswehr behauptet wurde, ficht ihn nicht an. »Der ungelenke Umgang mit dem Kämpfen und Sterben, die Verweigerung insbesondere der Politik, das Offensichtliche beim Namen zu nennen oder auch nur die Einsatzregeln den Realitäten anzupassen, brauchten viel Vertrauen bei den Soldaten auf«, schreibt Neitzel. Schuld daran seien die Bundesregierung, der Bundestag und Teile der Militärführung. Ihnen fehle der Wille zum Kriegseinsatz, daher handelten sie angeblich den Soldaten im »Auslandseinsatz« gegenüber verantwortungslos.

»Deutsche Krieger« ist sein Buch betitelt. Neitzels Botschaft, die er schon im WDR-Talk äußerte: »Wir brauchen den Soldaten als Kämpfer und Krieger, müssen das Kriegs-Handwerk wieder lernen.« Dass die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und der neue Generalinspekteur Eberhard Zorn beschlossen, bis 2027 drei Kampf-Brigaden aufstellen zu wollen, gefällt Neitzel. Die Bundeswehr sei um des Kämpfens willen in Afghanistan, in Mali und anderswo. Töten und Sterben gehöre dazu. Es dürfte nicht überraschen, dass Neitzel beim Militär wachsende Zustimmung findet, allerdings offenbar auch in der Politik. Kriegerischer Interventionismus, getarnt als »humanitäre Interventionen«, sollen größeres Gewicht erhalten. Die Gesellschaft soll darauf eingestimmt werden, dies gutheißen. Umso schlimmer, dass Neitzel über das Medium Fernsehen ein breites Publikum erreicht.

Vor der Dominanz militärischen Denkens gegenüber zivilen Interessen haben schon 1914 Pazifisten wie Friedrich Wilhelm Foerster, Ludwig Quidde, Helene Stöcker, Bertha von Suttner, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gewarnt, um nur einige Namen zu nennen. Neitzel liefert mit seinem neuen Buch die Begleitmusik zu neuerlichen offensiven militärpolitischen Bestrebungen. Das Bild des Soldaten in der Demokratie als »Bürger in Uniform« ist diesem Militärhistoriker suspekt. Natürlich könnten Verbrechen der Wehrmacht nicht traditionsbildend sein, räumt Neitzel ein, und fügt quasi entschuldigend hinzu, dass in allen Kriegen Verbrechen geschehen. Der Militärhistoriker unterscheidet nicht zwischen Übergriffen in angstbesetzten Kampfsituationen und systematisch geplanten, staatlich angeordneten Verbrechen. Mit Blick auf den NS-Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion stellen Neitzels Äußerungen eine horrende, ungeheure Verallgemeinerung dar.

Konfliktstrategien, die auf Verständigung und Prävention zielen, zieht der Autor ins Lächerliche, auch darin althergebrachten, deutschnationalen Positionen und Vorurteilen treu bleibend. Dass der Frieden und nicht der Krieg als »Ernstfall« zu begreifen ist - vom Bundespräsident Gustav Heinemann zur Maxime einer neuen Politik der Entspannung erhoben -, ist Neitzel fremd und offenbar ein Gräuel.

Wenn Soldaten Wehrmachtsbilder aufhängen oder beispielsweise den Jagdflieger und NS-Ritterkreuzträger Helmut Lent verehren, erfolge dies lediglich aus Respekt vor deren kriegshandwerklichem Geschick. Das habe, so Neitzels Behauptung, nichts mit der Verherrlichung der faschistischen Wehrmacht unter Rechtsextremisten zu tun. Worauf stützt sich seine Behauptung? Neitzel gibt Hinweise für die Traditionsbildung in der Bundeswehr. Es fänden sich in letzten 150 Jahren deutscher Kriegsgeschichte genügend Vorbilder für heute. Die da wären: soldatische Tugenden wie Pflicht, Disziplin, Ehre, Treue, Kameradschaft und Kampfeswille, die schon »archaische Krieger« auszeichneten. Das alles sind nicht nur Allgemeinplätze, sondern absoluter Unsinn und Unfug. Ein Krieg ist immer mörderisch. Auch der »Universal Soldier« von heute ist ein Mörder. Wie schon die Legionäre im alten Rom. Wer von soldatischen Tugenden in deutscher Geschichte faselt, verharmlost staatlich angeordnete Verbrechen, ob im Ersten oder Zweiten Weltkrieg.

Neitzel suggeriert, die Debatte um die Wehrmachtstradition sei vor allem rechtsextremen »Trollen«, also Fabelwesen, geschuldet. Dass es Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam und zuvor schon des eben dort ansässigen Militärgeschichtlichen Instituts der DDR (»Europa unterm Hakenkreuz«) waren, die lange vor der »Wehrmachtsausstellung« den verbrecherischen Charakter der Kriegsführung der deutschen Generalität und Soldateska en detail beschrieben haben, verschweigt er. Er blendet generell alles aus, was ihm nicht in den Kram passt.

Sein Buch ist eine politische Streitschrift und hat mit Wissenschaft und seriöser Militärgeschichte nichts zu tun. Es ist ein Plädoyer für eine offensiv-aggressive Politik. Wohin die führt, dürfte hinreichend bekannt sein.

Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik. Eine Militärgeschichte. Propyläen, 816 S., geb., 35 €.

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