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Null Toleranz und interkulturelle Bildung

Wie rechtsextreme Tendenzen in der Polizei bekämpft und verhindert werden sollen

Es war eines der schwersten rechtsextremistischen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Vor genau einem Jahr, am Abend 19. Februar 2020, ermordete ein Rassist im hessischen Hanau neun Menschen aus migrantischen Familien. Politiker nahezu aller Parteien zeigten sich erschüttert, äußerten sich solidarisch mit den Angehörigen der Opfer und forderten einen konsequenten Kampf gegen Hass und rechte Gewalt. »nd« fragte in den letzten Wochen die Bundesregierung und alle Landesregierungen, welche Schlussfolgerungen sie aus dem Anschlag von Hanau gezogen haben. Die Fragen gehen auf einen Forderungskatalog zurück, den die Publizistin Daniela Dahn nach dem Anschlag von Hanau formuliert und den »nd« veröffentlicht hatte.

14 der 17 angefragten Regierungen haben geantwortet und sich zu Themen wie dem Einsatz von V-Leuten in der Naziszene, rechtsextremen Netzwerken in der Polizei, dem Sinn von Antifaschismus-Klauseln in Grundgesetz und Landesverfassungen und der Kontrolle von Waffenbesitzern geäußert.

Dahn forderte, »nd« fragt

Vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, ermordete ein Rechtsradikaler in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Täter war Sportschütze und besaß legal zwei Pistolen. Eine dritte Pistole, die Tatwaffe, lieh er sich bei einem Waffenhändler aus.

Nach dem Massaker gab es zahlreiche Bekenntnisse von Politikern, entschieden gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Bezug auf rassistische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung: »Wir stellen uns denen, die versuchen, in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.« Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei einem Treffen mit Angehörigen der Opfer: »Die Wurzeln des Rechtsextremismus reichen tief in unsere Gesellschaft hinein – das ist ein ernstes, ein drängendes Problem.«

Die Publizistin Daniela Dahn formulierte kurz nach dem Anschlag in Hanau Forderungen an die Politik, die »nd« veröffentlichte. Es geht darin um Defizite im Umgang mit Rechtsextremismus und rechter Gewalt, um die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten, die konsequente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. »Wenn die angesprochenen Institutionen nicht beabsichtigen, auf die Forderungen einzugehen, haben sie die Pflicht, dies vor der Öffentlichkeit zu begründen«, schrieb Daniela Dahn.

Wir haben ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau die Bundesregierung und die Landesregierungen gefragt, wie sie zu den von Daniela Dahn aufgeworfenen Fragen stehen. Keine Antworten kamen aus Brandenburg, Hessen und Baden-Württemberg. Auf dieser Doppelseite fassen wir wesentliche Aussagen zusammen, an denen sich die Institutionen – Staatskanzleien, Ministerien, Polizei und Verfassungsschutzämter – messen lassen müssen. In den nächsten Wochen werden wir mit Politikern, Verbänden und Initiativen sprechen und die hier wiedergegebenen Auskünfte einer Bestandsaufnahme unterziehen. nd

nd-Frage an Bundesregierung und Landesregierungen: Was wurde in den Innenministerien veranlasst, um rechtsextreme Netzwerke in der Polizei offenzulegen? Was wird präventiv getan, um die Bildung neuer Netzwerke dieser Art zu verhindern?

In vielen Antworten auf die nd-Anfragen fällt das Stichwort »Null Toleranz«. Null Toleranz gegenüber Extremismus und extremistischer Gewalt – das beginnt den Antworten zufolge schon bei einer gründlichen Prüfung von Bewerberinnen und Bewerbern für den Polizeidienst. Einige Landesregierungen beziehen sich in ihren Ausführungen ausdrücklich auf rechte Gewalt, die meisten schreiben von Extremismus jeder Art. »Der gewaltbereite Rechtsextremismus und -terrorismus sowie sämtliche Strömungen und Subkulturen von Rechtsradikalismus werden aktuell als größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden angesehen« – so dezidiert wie vom Thüringer Innenministerium wird es ansonsten kaum formuliert.

In vielen Fällen wird versucht, mit strukturellen Veränderungen rechten Bestrebungen in der Polizei zuvorzukommen oder sie wenigstens rechtzeitig zu erkennen. So verweist die Bundesregierung darauf, dass im Oktober 2020 von der noch ziemlich neuen Koordinierungsstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Bestrebungen im öffentlichen Dienst der erste »Lagebericht zu Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden« vorgelegt wurde – ein erstmaliger bundesweiter Überblick zum Thema. Ebenfalls nach den Ereignissen von Hanau legte das Bundesinnenministerium gemeinsam mit den Ländern einen Bericht zu »Disziplinarrechtlichen Konsequenzen bei extremistischen Bestrebungen« einschließlich Handlungsempfehlungen für die Behörden vor.

In Nordrhein-Westfalen, dessen Polizei mehrfach wegen rechter Tendenzen in die Schlagzeilen geriet, wurde im Frühjahr 2020 in jeder Polizeibehörde ein Extremismusbeauftragter eingesetzt; außerdem wurde das Amt eines Sonderbeauftragten »Rechtsextremistische Tendenzen in der NRW-Polizei« mit einer eigenen Stabsstelle eingerichtet. Dieses Team soll zunächst ein Lagebild erstellen und daraus ein Konzept »zu Früherkennung und effektiver Entgegnung rechtsextremistischer Tendenzen« entwickeln.

Seit Dezember 2020 ist in Bremen ein neues Polizeigesetz in Kraft, in dem festgeschrieben ist, dass alle neuen Polizeibeamten im Zuge einer Regelanfrage vom Verfassungsschutz überprüft werden. Zuvor war diese Überprüfung freiwillig. Auch Mecklenburg-Vorpommern plant im Rahmen einer Gesetzesnovelle die Zuverlässigkeitsprüfung von Polizeibewerbern »unter Einbeziehung von Erkenntnissen des Verfassungsschutzes«. Ebenfalls Ende 2020 wurde in Bremen per Gesetz beschlossen, einen unabhängigen Polizeibeauftragten zu berufen, der die Aufgaben einer Ombudsstelle übernehmen soll.

Schleswig-Holstein verweist darauf, dass die Landespolizei an der Erarbeitung des Aktionsplans gegen Rassismus beteiligt ist. Zur Aus- und Weiterbildung gehören Begegnungen der Beamten mit Holocaust-Überlebenden sowie Besuche in KZ-Gedenkstätten und seit 2019 eine Kooperation mit der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Die Polizeischule des Landes, so wird uns mitgeteilt, ist seit Januar 2020 eine zertifizierte »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«. Derzeit werde die Einrichtung einer Ansprechstelle für »Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und demokratiefeindliches Verhalten« in der Landespolizei geprüft.

Polizeianwärter in Sachsen-Anhalt besuchen im Rahmen des Fachs Politische Bildung die Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt, um sich dort mit jüdischer Geschichte und Kultur zu beschäftigen. Für das Magdeburger Innenministerium wurde Ende 2020 ein Extremismusbeauftragter berufen. Bisher seien Vorwürfe von Bürgern gegen die Polizei wegen Rassismus oder Racial Profiling »nicht in statistisch relevantem Umfang« bekannt. »Wegen der aktuellen Auseinandersetzung mit dem Thema« sind für 2020 derzeit Auswertungen in Arbeit.

In Sachsen entstand im September 2020 eine Koordinierungsstelle zur internen Extremismusprävention und -bekämpfung für den Bereich des Innenministeriums, wobei es ausdrücklich um »alle Formen von Extremismus« geht. Thüringen nennt die Polizeivertrauensstelle, an die sich Bürger wenden können, und die Stabsstelle Polizeiliche Extremismusprävention, die nach der NSU-Mordserie entstand. Der Bereich Interne Ermittlungen, der Verfehlungen innerhalb der Polizei nachgeht, ist seit Anfang Februar direkt dem Erfurter Innenministerium unterstellt.

»Rassisten oder Extremisten jeglicher Couleur« werden bei der bayerischen Polizei »nicht geduldet«, heißt es aus München. Dazu gehöre unter anderem ein »verantwortungsvolles Verhalten in sozialen Medien« sowie die Ermutigung der Polizisten, Verdachtsfälle von Extremismus in den eigenen Reihen »proaktiv zu melden«, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Etwas Ähnliches, ein »Anonymes Hinweisgebersystem«, das bisher zur Korruptionsbekämpfung eingesetzt wird, könnte laut Berliner Senat künftig auch zur Bekämpfung extremistischer Tendenzen in der Hauptstadt-Polizei eingesetzt werden; ein Vorschlag dazu ist in der Debatte. Die Hamburger Polizei leitet gemeinsam mit der Bundespolizei eine Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft »Demokratische Resilienz«.

Niedersachsen verweist darauf, dass unter anderem mithilfe eines Rahmenkonzepts »Interkulturelle Kompetenz« der Anteil der eingestellten Bewerber mit Migrationshintergrund seit 2007 von 4 auf 15 Prozent (2020) erhöht werden konnte. Überhaupt wird in fast allen Antworten Wert auf die Feststellung gelegt, dass das Thema Interkulturelle Kompetenz zur Aus- und Weiterbildung der Polizisten gehört.

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Dazu passende Podcast-Folgen:
  • ndPodcast
    Ein Gedenkbeitrag der Initiative Postmigrantisches Radio zum rassistisch motivierten Terroranschlag in Hanau am 19. Februar
    • Länge: 00:04:49 Stunden

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