Haftstrafen für Islamisten

245 Verhandlungstage bis zum Urteil gegen deutsche IS-Anhänger

Der Prozess gegen Ahmad Abdulaziz Abdullah A., der sich Abu Walaa nennt, und seine »Brüder« war eine Zeitreise. 2012 bis 2014 war der Islamismus als Bewegung in Deutschland auf dem Vormarsch. Der inzwischen geläuterte Prediger Sven Lau ging als »Sharia-Polizist« auf die Straße. In Fußgängerzonen verteilten Islamisten an ihren »Lies«-Ständen den Koran und an jedem Wochenende gab es öffentlich angekündigte Gebete, Feste und Spendensammlungen von Islamisten. Parallel dazu erzielte die Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« in Syrien und dem Irak einen Erfolg nach dem anderen. Videos von IS-Gräueltaten gingen um die Welt und lösten Entsetzen aus.

An der Schnittstelle zwischen den Bewegungen in Deutschland und Syrien sollen Abu Walaa und seine Mitstreiter Hasan C., Boban S. und Mahmoud O. gesessen haben. Sie wurden am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Celle zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Prozess gegen sie hat dreieinhalb Jahre gedauert. An 245 Verhandlungstagen wurden über 100 Zeugen gehört. Ehemalige Mitstreiter sagten ebenso aus wie Polizisten, die sich mit ihren Fällen beschäftigt hatten. Als Kronzeugen fungierten ein Islamist, der mit der Hilfe von Abu Walaa nach Syrien ausgereist sein will, und eine Vertrauensperson des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts. Dieser »Murat Cem« genannte Mann spielt auch eine gewichtige Rolle im Komplex um den Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri. Im Prozess gegen Abu Walaa durfte er nicht selbst aussagen. Polizisten verlasen seine Statements.

Terrorurteil mit Fragezeichen - Sebastian Weiermann über die Haftstrafe für IS-Prediger

Solche Konstruktionen waren im Verlauf des Verfahrens ein gefundenes Fressen für die Verteidiger Abu Walaas und der Mitangeklagten. Der nach Syrien ausgereiste Kronzeuge wurde als »notorischer Lügner« bezeichnet, »Murat Cem« als radikalster unter den Islamisten, dessen Glaubwürdigkeit wegen seines kleinkriminellen Hintergrunds angezweifelt wurde. Aus Sicht der Verteidigung haben ein Lügner und ein Kleinkrimineller die Erzählung eines Terrornetzwerks befeuert, die von der Bundesanwaltschaft aufgegriffen worden sei. Dabei seien die Angeklagten radikale, nicht in Netzwerke eingebundene Prediger. Das Gericht aber sieht es als bestätigt an, dass sie Teil eines Netzes waren. Abu Walaa sei als »Vertreter« des IS in Deutschland eingesetzt worden, habe persönliche Kontakte zu Führungsfiguren der Terrororganisation gehabt. Im Tatzeitraum sei er eine »führende Autorität mit hoher Strahlkraft« gewesen. Auch die Mitangeklagten, die im Ruhrgebiet Koranunterricht anboten, hätten sich schuldig gemacht. Sie wurden verurteilt, ihre Schüler zur Ausreise in Kriegsgebiete ermuntert zu haben.

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