Die Schwebende

Sie blieb standhaft, aber auf spielerische Weise: Die große Schauspielerin Jutta Hoffmann

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Es sind Bilder, Szenenfolgen, die bleiben. Solche wie die der jungen Lehrerin Karla in Herrmann Zschoches gleichnamigem Film von 1965. Welch lebensmutige Naivität bezaubert hier den Zuschauer! Da ist eine, die wirkt wie eine Träumerin, eine zerbrechliche, fast puppenhafte Figur - und die Lebensrealität trifft sie über die Maßen hart, fast zerbricht sie daran - aber eben nur fast. Ein Hauch von Jeanne d’Arc wehte mit Jutta Hoffmanns Karla durch den Defa-Film.

Denn sie wird nicht abschwören, sich nicht unterwerfen, sondern auch am Ende immer noch das tun, was sie für richtig hält, auch wenn man sie dafür fortgesetzt abstraft. Die Schule war in der DDR fast schon ein Tabuthema, an das vorsichtige Naturen gar nicht erst rührten - weder Krisenbefunde noch Kritik waren erlaubt oder gar der Anspruch, den Schülern Wahrhaftigkeit vorzuleben.

»Karla« ist ein wichtiger Film geblieben, weil er zeigt, dass man mit dem Aussprechen eigener Zweifel und Irrtümer ein Vorbild für junge Menschen sein kann. Dass einen die eigene Unsicherheit stärkt, nicht schwächt, wenn man ihr einen Ausdruck zu geben vermag. Das Buch zum Film, der zu den zwölf auf dem 11. ZK-Plenum im Dezember 1965 verbotenen gehörte, schrieb Ulrich Plenzdorf. Der erinnert sich an die Situation danach so: »Es entstand eine Lage im Studio wie kurz vor dem Bürgerkrieg. Die Leitung wurde abgesetzt, es gab einen Kommissar, der eingesetzt wurde ... Die Lage war brisant, und wir hatten immer das Gefühl, dass die Kampfgruppen das Studio besetzen.«

Da ist eine, die nicht aufhörte »Nein« zu sagen, wenn ihr ein »Ja« unmöglich war. Aber immer mit Geist und Witz, auch wenn es schwer fiel. Ihre Unterschrift gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976 nahm sie nicht zurück, da konnte man noch so viel bitten (am Anfang) und drohen (im weiteren Verlauf) und Abstrafen (am Ende). Sie blieb standhaft, aber auf spielerische Weise.

Vielleicht auch wegen dieser Stärke auf den zweiten Blick besetzte sie Hans-Joachim Kasprzik in seiner Fallada-Verfilmung »Kleiner Mann, was nun?« von 1967 als Lämmchen an der Seite von Arno Wyzniewski als Pinneberg. Ein Angestelltendrama. Fernsehchef Adameck bestellte sie, nachdem sie, nachdem er Muster gesehen hatte, zu sich und rügte die Kleinbürgerlichkeit in der Darstellung Lämmchens. So sei doch keine Arbeitertochter! Doch konterte das Lämmchen mit Löwenmut, ihre Mutter sei so - und genau so spiele sie das.

Dann drehte sie drei Filme mit Egon Günther, die Filmgeschichte schrieben. In »Der Dritte« ist sie eine alleinerziehende Mutter, Mathematikerin, mit zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern auf der Suche nach dem dritten Mann. Welch unstillbarer Hunger nach Glück! Sieht man ihn heute, ist man verblüfft über den avantgardistischen Drive, mit der die Geschichte erzählt ist. Höhepunkt war ihr hinreißend komisch-wilder Tanz im Blauhemd der FDJ zu »Bandiera rossa«. Für Politbüro-Ideologiewächter Kurt Hager viel zu wild. Sie dürfe dies alte Arbeiterlied nicht so verhunzen. Antwort der Schauspielerin, die längst kein Lämmchen mehr war: »Das Lied verschwindet, wenn man es nicht benutzt. Ich musste es auf meine Art benutzen.« Für »Der Dritte« bekam sie 1972 in Venedig den Silbernen Löwen als Beste Schauspielerin.

Zwei Jahre später entsteht - wieder mit Egon Günther - »Die Schlüssel«, Jutta Hoffmanns Lieblingsfilm. Eine junge Arbeiterin reist mit ihrem Freund (Jaecki Schwarz), einem Studenten, ins polnische Krakau. Man streitet viel. Dann verunglückt die junge Frau in der fremden Stadt tödlich bei einem Straßenbahnunfall. Wie nebenbei passiert das. Ein Schock, dieses plötzliche zufällige und doch so endgültige Fortsein eines Menschen.

Nur einen Nebenrolle, aber eine durchschlagende, war ihre Adele Schopenhauer in Egon Günthers »Lotte in Weimar« von 1975. Die »Adelmuse« als heillos in ihre Kunstvereinstümelei verstrickte Schwester des Philosophen. Ein Kabinettstück ornamentaler Selbstverhinderung.

Zwei Filme in der Regie von Frank Beyer nach der Biermann-Ausbürgerung zeigen eine ganz andere Jutta Hoffmann. 1978 »Das Versteck« mit Manfred Krug und »Geschlossene Gesellschaft« nach dem Buch von Klaus Poche, mit Armin Mueller-Stahl. Beide Filme sind schon wie im Fortgehen gedreht. Formal starke Filme, Claude Sautets »Die Dinge des Lebens« nachfolgend, lakonische Lebensbilanzen, die nicht positiv ausfallen. Auf den ersten Blick Beziehungsgeschichten, auf den zweiten Sinnbilder eines existenziellen Unbehagens. Jutta Hoffman spielt gegen den aufsteigenden Zynismus an. Das ungute Schweigen bricht auf und viel Unangenehmes, das bislang ungesagt blieb, ist zu hören. Der oberste DDR-Medienchef, Politbüromitglied Joachim Herrmann, wollte den Film erst verbieten, schließlich sendete man ihn - ohne vorherige Ankündigung - spätabends im zweiten Programm.

1982 verließ Jutta Hoffmann die DDR, innerlich hatte sie bereits zuvor mit ihr abgeschlossen. In Hamburg war sie lange Professorin an der Schauspielschule. Die Jungen liegen ihr am Herzen. Sie sollen nicht zynisch werden, denn das ist Gift für die Kunst. Sie arbeitete wieder für das Theater, in München und Hamburg, auch mit Peter Zadek und Einar Schleef, mit dem sie 1975 am Berliner Ensemble bei »Fräulein Julie« einen legendären Skandal ausgelöst hatte - im Jahr 2000 stand sie dort in seinem »Verratenen Volk« auf der Bühne.

Jutta Hoffmann bleibt unverwechselbar, gerade weil sie sich immer mehr zurücknimmt als bloß exponiert. Ihre Intensität resultiert aus zurückgestauter Energie, deren Stärke sie offenbar selbst immer wieder verblüfft. Sie schwebt, wo andere fest auftreten. Heute feiert sie, in Potsdam lebend, ihren 80. Geburtstag.

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