20 Prozent weniger Arbeitslosengeld

Frankreichs Regierung will die Sozialversicherung verändern

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 2 Min.

In Frankreich tritt ab Juli schrittweise eine umstrittene Reform der Arbeitslosenversicherung in Kraft. Das hat Arbeitsministerin Elisabeth Borne am Dienstag nach einer letzten und gescheiterten Vermittlungsrunde mit den Gewerkschaften entschieden. Die Reform wurde nötig, weil sich die Unternehmerverbände und die Gewerkschaften, die in Frankreich gemeinsam mit dem Staat die Träger der Arbeitslosenversicherung sind, 2019 nicht über Maßnahmen zu deren finanzieller Sanierung einigen konnten. Dadurch fiel die Entscheidung der Regierung zu. Diese hofft, durch die Reform jährlich 1 bis 1,3 Milliarden Euro einzusparen.

Doch vor allem soll der Druck auf die Erwerbslosen erhöht werden, nach einem neuen Arbeitsplatz zu suchen. Zugleich will man dem Trend bei den Unternehmen entgegentreten, vorzugsweise prekäre Arbeitskräfte für einen begrenzten Zeitraum zu beschäftigen, da man sie bei einer Flaute leicht wieder loswird. Alle Gewerkschaften lehnen das neue System der Berechnung des Arbeitslosengeldes ab, weil dieses für die Betroffenen zu einer Verschlechterung der Bedingungen führt. Nach Angaben der Arbeitslosenversicherung Unedic müssen 840 000 Personen - 38 Prozent aller Erwerbslosen - mit einer Senkung ihres Arbeitslosengeldes um durchschnittlich 20 Prozent rechnen. Arbeitsministerin Borne zufolge soll die Reform »mehr Gerechtigkeit herstellen«. So seien bislang die Arbeitnehmer, bei denen sich kurzzeitige Arbeitsverhältnisse mit Zeiten von Arbeitslosigkeit abwechseln, finanziell besser gestellt als die mit einem durchgehenden Arbeitsverhältnis. Während man heute Ansprüche auf Arbeitslosengeld bereits durch vier Monate Arbeit in den vergangenen 28 Monaten erwirbt, müssen es künftig sechs Monate Arbeit innerhalb von 24 Monaten sein.

Außerdem reduziert sich die Höhe des Arbeitslosengeldes künftig bereits ab dem siebten Monat der Erwerbslosigkeit und nicht wie bisher nach dem neunten. Ein wesentlicher Bestandteil der Reform ist eine sogenannte Bonus-Malus-Regel: Wenn Unternehmen bevorzugt für kurze Zeiträume einstellen, erhöhen sich ihre Beiträge um drei bis fünf Prozent im Vergleich zu denen, die vorrangig unbefristete Arbeitsverträge abschließen. Im ersten Entwurf war vorgesehen, dass die Bonus-Malus-Regel zunächst auf sieben Bereiche mit besonders viel Kurzzeitarbeit angewendet wird, darunter die Lebensmittelindustrie und Hotel- und Gastronomiegewerbe. Jetzt wurde entschieden, dass wegen der aktuellen Coronakrise das besonders betroffene Gastgewerbe vorerst ausgenommen wird.

Die Reform sei »ungerecht, anachronistisch, inkonsequent und unausgewogen«, stellt Laurent Berger, der Generalsekretär der größten Gewerkschaft, CFDT, fest. »Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn die Bonus-Malus-Regel frühestens in einem Jahr in Kraft tritt, während 830 000 Arbeitslose bereits ab Juli weniger Arbeitslosengeld bekommen?« Dass die Reform trotz Coronakrise durchgezogen werden soll, dürfte politische Gründe haben. Offenbar will Emmanuel Macron ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl demonstrieren, dass er an seinem Reformprogramm festhält.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal