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Italien steht sozial am Abgrund
Im Land grassiert das Coronavirus in vielen Regionen. In der Bevölkerung wachsen Wut und Frustration
Während man in Deutschland über neue Lockerungen nachdenkt, hat Italien mit wieder steigenden Fallzahlen zu kämpfen. Vor allem in Norditalien, in Mailand, Bergamo und Brescia sind Krankenhäuser und Intensivstationen erneut voll belegt und die Menschen fühlen sich in die Zeiten von vor einem Jahr zurückversetzt.
Das Land ist in Zonen mit vier unterschiedlichen Farben eingeteilt: von Weiß (nur Sardinien), wo wieder fast alles möglich ist, bis Rot, was den mehr oder weniger totalen Lockdown bedeutet. Die Farben wechseln permanent, je nach den verschiedenen Parametern, die man ausgemacht hat, aber derzeit färben sich immer mehr Gegenden rot. Das liege vor allem an den vielen Varianten des Virus, die hier grassieren, so erklären die Experten. Nicht nur die »englische« Mutante, die inzwischen vorrangig geworden ist, sondern auch die brasilianische, die südafrikanische, die schottische und letztens auch noch die nigerianische ... Wie vor einem Jahr sind die norditalienischen Regionen Lombardei und Emilia-Romagna mit Bologna besonders betroffen. Überall gibt es nächtliche Ausgangssperren, werden die Regionen abgeriegelt und sind Treffen mit Freunden oder Verwandten verboten.
Wie viele andere Länder in Europa hat auch Italien hauptsächlich auf die Massenimpfungen gesetzt - aber wie anderswo kommen auch hier die Impfdosen nicht zügig genug an. Koordiniert wird die gesamte Impfstrategie inzwischen von dem General Francesco Paolo Figliuolo, den Ministerpräsident Mario Draghi vor wenigen Tagen zum »Kommissar für den Corona-Notstand« ernannt hat. Seine langjährige Erfahrung in der Logistik in den verschiedenen Krisengebieten weltweit sollte ihn dazu befähigen, auch diesen »Krieg« zu gewinnen. Aber wenn es keine Impfstoffe gibt, kann er natürlich auch nicht viel koordinieren. Nun hat die italienische Regierung in Absprache mit der EU einen Ausfuhrstopp für 250 000 Dosen des Serums von Astrazeneca verhängt, die in Italien produziert wurden und eigentlich für Australien bestimmt waren. Man denkt auch darüber nach, jetzt doch den russischen Impfstoff »Sputnik V« zu bestellen.
Nach über einem Jahr werden die Folgen der Pandemie immer stärker spürbar. Fast 100 000 Menschen sind in Italien inzwischen an oder mit dem Virus gestorben. Es waren nicht nur alte und kranke Personen, sondern auch viele, die im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiteten. Hinzu kommen die vielen Menschen, die an anderen Erkrankungen leiden und jetzt nicht mehr ausreichend versorgt werden. Die Krebsvor- und nachsorge zum Beispiel liegt fast vollkommen brach.
Aber auch unter den »Gesunden« häufen sich die Probleme. Depressionen und häusliche Gewalt nehmen stark zu - und das in allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Noch nie hat es unter Heranwachsenden so viele Selbstmordversuche oder andere verzweifelte und selbstzerstörerische Taten gegeben. Nach Monaten der Isolation und mit Schulen, die mal öffnen und dann wieder schließen, die mal rein digitalen Unterricht haben und dann wieder für kleine Gruppen Präsenzunterricht versuchen, hat sich vor allem in der Gruppe der 15- bis 19-Jährigen viel Frust angestaut.
So verabreden sich Jugendliche immer wieder nachts auf Straßen oder Plätzen, um riesige Schlägereien zu organisieren, die nicht nur mit Fäusten, sondern auch mit Messern ausgetragen werden. Immer mehr Kinder und Jugendliche fallen durch sämtliche Netze und haben überhaupt keine Kontakte mehr zu den Schulen.
Sozial steht das Land immer näher am Abgrund. Die Zahl der Menschen, die in »absoluter Armut« leben, hat sich im letzten Jahr verdoppelt. Die Schlangen vor den wohltätigen Einrichtungen, in denen Essen ausgegeben wird, werden immer länger. Betroffen sind gerade auch kinderreiche Familien, in denen das einzige Einkommen aus der Gastronomie oder dem Tourismus kam.
Die Menschen sind allgemein verunsichert, nervös und aggressiver. Obwohl auf den italienischen Straßen weniger Autos zirkulieren, haben die Unfälle zugenommen. Keiner will dem anderen die Vorfahrt lassen!
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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