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Nazis gegen Klangschalen

Rund 500 Menschen stellen sich am Samstag einer Reichsbürgerdemo entgegen - Querdenker und Neonazis distanzieren sich voneinander

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

Vereinzelt wehen schwarz-weiß-rote Fahnen in Berlins Mitte, weiße Männer in rechter Szenekleidung rufen Nazi-Parolen. Statt der angekündigten Großdemonstration, zu der sogenannte Reichsbürger aufgerufen hatten, schlendern rund 200 Neonazis langsam Richtung Siegessäule, bevor sie von der Polizei wegen fehlender Masken und unzureichender Abstände gestoppt werden. Um 14 Uhr wird die Versammlung aufgelöst. Die Polizei begründet das mit den zahlreichen Verstößen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen. Es gab jedoch auch Körperverletzungen, wie die Polizei mitteilte. Einige Rechte wurden festgenommen.

Erfolgreicher ist der Tag für Antifaschist*innen: Mit einer lauten und zügigen Demonstration und mehreren Kundgebungen belegen Antifaschist*innen die Straßen des Regierungsviertels. Rund 500 Menschen konnten die Organisator*innen der Linksjugend Solid nach eigenen Angaben mobilisieren: »Unerwartet groß«, freut sich Linksjugend-Sprecherin Lina gegenüber »nd«. Das Ziel sei es gewesen, das Holocaust-Mahnmal in direkter Nähe zum Startpunkt der Rechten zu schützen und einen Anlaufspunkt für Antifaschist*innen zu schaffen. Beides sei gelungen. Überrascht sei sie nicht vom Bild des rechten Aufmarschs, sagt Lina, die nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen will: »Es haben vor allem Reichsbürger mobilisiert.« Dennoch könne man trotz Unterschieden im Auftreten Gemeinsamkeiten mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen feststellen: »Die Spektren überschneiden sich.«

»Querdenken« um Michael Ballweg hatte am Samstag zu Demonstrationen in Potsdam und Kassel aufgerufen und distanzierte sich halbherzig von den offensichtlichen Neonazis in Berlin. Zwar hatte man in der Vorwoche - wenn auch mit deutlich geringerer Beteiligung - vielerorts zusammen demonstriert. Doch die Entwicklungen und Streitigkeiten der vergangenen Monate innerhalb der Bewegung sind noch spürbar: Die rechten Organisator*innen hätten eine eigene Demonstration in Berlin organisiert, da man »keine Lust mehr auf die Klangschalen-Fraktion« habe, erklärt ein Redner der »Speerspitze Widerstand«, womit er auf die heterogene Mischung der »Querdenken«-Bewegung aus hippiesken Esoteriker*innen bis hin zu Rechtsextremen anspielt. In Berlin dominierten am Samstag offene Neonazis und Hooligans. Fahnen des Netzwerks »Hooligans gegen Salafisten« wurden gezeigt, die vor allem 2015 in Köln gewalttätig aufgetreten waren. Zudem wurden eindeutig nationalsozialistische Parolen gerufen. Im Internet kursiert ein Video von einem Mann, der bei der Kundgebung am Brandenburger Tor den rechten Arm zum Hitlergruß hebt.

Neue Akteur*innen mit alten Gesichtern: »Insgesamt handelt es sich bei dem aufrufenden Bündnis um einen Zusammenschluss von Kleinstgruppierungen und Labels, die in dieser Form noch nie außerhalb der Onlinewelt in Erscheinung getreten sind«, schreibt die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in einer Analyse vor den Versammlungen. Hinter den Gruppen stünden wohl eher Einzelpersonen. Doch auch diese Gruppen nahmen schon an vorherigen Corona-Protesten teil. Im Spätsommer letzten Jahres fuhr etwa die »Patriotic Opposition Europe« einen eigenen Lkw auf der Großdemonstration durch Mitte.

Droht der Hauptstadt eine neue Welle von Corona-Protesten? Das lässt sich aus der kleinen Demonstration am Samstag nicht schließen. Gerade sieht es so aus, als ob »Querdenken« den Rahmen für große Versammlungen setzt. Antifaschist*innen sollten sich jedoch nicht darauf ausruhen. »Die sind schon sehr wetterscheu«, sagt Linksjugend-Sprecherin Lina. Heißt umgekehrt: Wenn es wieder wärmer wird, könnten auch die Corona-Proteste wieder an Fahrt gewinnen.

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