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Ein kritischer Abgesang

Letzte Gedanken und Fragen zur Stasi-Unterlagen-Behörde in Abwicklung

  • Günter Benser
  • Lesedauer: 4 Min.

Am vergangenen Freitag übergab der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU), Roland Jahn, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den 15. und letzten (120-seitigen) Bericht seiner Behörde. Die in den Unterlagen dokumentierte Geschichte sei eine große Chance, langfristig für Demokratie und Menschenrechte zu sensibilisieren, meinte der letzte Amtsinhaber. Mit dem Ende seiner Amtszeit im Juni sollen Millionen Akten der DDR-Staatssicherheit in die Zuständigkeit des Bundesarchivs übergehen.

Als im März 2019 von Jahn und vom Präsidenten des Bundesarchivs, Michael Hollmann, ein Konzept über die »Zukunft der Stasi-Unterlagen« vorgelegt wurde, nahm dies der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung zum Anlass, sich eingehend mit den hier anvisierten Strukturen und Maßnahmen zu befassen. Wir kamen zu der übereinstimmenden Auffassung, dass dieses Konzept in der vorliegenden Fassung aus juristischen, archivfachlichen, praktisch-finanziellen sowie kultur- und erinnerungspolitischen Gründen abzulehnen ist und unterbreiteten unsere Argumente den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Während einerseits die Linksfraktion auf unsere Eingabe an den Bundestag reagierte und wir erfreuliche Unterstützung von einzelnen Persönlichkeiten und interessierten Gremien erfuhren, erlebten wir andererseits Ignoranz. Nachdem dann das Jahn/Hollmann-Konzept längere Zeit aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden war, stand plötzlich, am 2. September 2020, ein Gesetzentwurf auf der Tagesordnung der 111. Bundeskabinettssitzung zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Einrichtung einer oder eines SED-Opferbeauftragten, eingebracht von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Bereits am 19. November wurde die Gesetzesnovelle vom Bundestag angenommen.

Ohne Zweifel ist mit dem Übergang der Federführung aus dem Hause Jahn in die Behörde der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien eine spürbare Versachlichung und Zurücknahme politisch-ideologischer Überfrachtungen eingetreten. Trotzdem weist das Änderungsgesetz Lücken, Tücken und Ungereimtheiten auf, die bei seiner Verabschiedung nicht thematisiert worden sind, auch nicht von der Sprecherin der Linkspartei.

Von führenden Vertretern des Bundesarchivs wurde schon vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass die Stasi-Unterlagen-Behörde nicht als Archiv, sondern als politische Institution konzipiert worden war und entsprechend arbeitete. Demzufolge erfordert deren Eingliederung eine archivwissenschaftliche Bewertung der zu übernehmenden Bestände. Diese hat bisher nicht stattgefunden. In der Begründung des Gesetzes wird argumentiert, »dass die Unterlagen ohne archivfachliche Bewertung im Einzelfall in Gänze als archivwürdig zu bewerten sind«. Und auch der Bundesarchivpräsident hat sich diese den Traditionen und der Philosophie seiner Institution widersprechende Regelung zu eigen gemacht. In seiner Erläuterung heißt es: »Im Bundesarchiv wird der Gesamtbestand der Stasi-Unterlagen - eine bewertende Auslese wird es nicht geben - als Archivgut dauerhaft Teil des kollektiven Gedächtnisses der deutschen Gesellschaft.«

Das liest sich wie eine besonders geschichts- und verantwortungsbewusste Herangehensweise, ist aber in der Praxis die Umsetzung eines politisch-ideologischen Konzepts, womit die höhere Dotierung der Stasi-Unterlagen gerechtfertigt werden soll. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar - und Insider haben dies bestätigt -, dass sich unter den Unmengen Papier der BStU nicht auch Massen an historisch bedeutungslosen kassationswürdigen Aufzeichnungen befinden. Andererseits hat das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auch in hohem Maße Dokumente an sich gezogen, die nicht in den nun für sie vorgesehenen Archivkorpus gehören. Das Sakrosankt-Sprechen jeglicher Stasi-Unterlagen lässt sich nur damit erklären, dass entgegen mancher Beteuerungen aus jüngerer Zeit der Umgang mit der Geschichte der DDR weiterhin aufs engste an das Wirken des MfS gekoppelt werden soll. Und dies in einer sehr einseitigen Weise, denn wo vom Aktenbildner MfS die Rede ist, geschieht dies losgelöst vom Kalten Krieg, von der Interaktion beider deutscher Staaten, von Gemeinsamkeiten aller Geheimdienste etc. Es ist nicht vorgesehen, die jüngere deutsche Geschichte als Doppelbiografie zweier Staaten zu untersuchen und zu vermitteln. Da stellt sich die Frage, ob sich die Gesetzgeber bewusst sind, von wo die Bedrohungen der Demokratie heutzutage eigentlich ausgehen - von der verblichenen DDR oder von gewaltbereiten Demokratieverächtern, Rechtspopulisten und Rechtsextremisten?

Wenn die Befürworter des Änderungsgesetzes die Stasi als Hauptinstrument eines Repressionsapparates anprangern und als nicht zu leugnenden Teil der DDR-Geschichte hervorheben, sind sie dazu natürlich absolut berechtigt. Allerdings wird eine Beschreibung der Stellung, der Aufgaben und der Funktionsweise des MfS, die fast ausschließlich auf Observierung und Repressierung von Bürgern der DDR abhebt, der widersprüchlichen Realität nicht gerecht. Damit entsteht auch ein verzerrtes Bild der nun vom Bundesarchiv zu übernehmenden Überlieferungen, denn die Personenakten machen nach Auffassung von Insidern maximal 20 Prozent des Bestandes aus und sind zu beträchtlichen Teilen der heute üblichen Vorratsdatenspeicherung vergleichbar.

Offengeblieben ist auch, ob bei der vorgesehenen Konzentration von Überlieferungen der DDR in der unter dem Dach des Bundesarchivs befindlichen Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (Sapmo) nun auch die vor 30 Jahren von der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung anmaßend vereinnahmten Archive der CDU (Ost) und der LDPD einfließen werden. Der Gesetzentwurf beziehungsweise dessen Begründung gibt auch keine Auskunft über die Kosten von Verlagerungen der BStU-Bestände sowie erforderliche bauliche Aufwendungen. Es heißt da nur lapidar, es würde keine geben. Es sind jedoch Außenstellen in Orten vorgesehen, die bisher gar keine Archivstandorte sind; in Medien ist die Rede von einem aufwendigen Archivbau in Rostock zur Aufnahme der Überlieferungen der drei Nordbezirke der DDR.

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