• Politik
  • Hamburger Schanzenviertel

Kampfbereite Mietergemeinschaft

Im Hamburger Schanzenviertel wird ein Gebäudekomplex zwangsversteigert - Mieter wehren sich gegen die Übernahme durch Investoren

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Im angesagten Schanzenviertel in Hamburg soll ein Gebäudekomplex mit 52 Wohnungen versteigert werden. Die Bewohner befürchten nach der Veräußerung drastische Mietsteigerungen. Zahlreiche Kaufinteressenten wurden bereits gesichtet. Doch ob sie Freude an dem Objekt hätten, erscheint fraglich: Die Mietparteien haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen, den Mieterverein und die Politik eingeschaltet. Sie streben eine genossenschaftliche Lösung an.

Anfang Februar wurde die rund hundertköpfige Mieterschaft der Häuser Kleiner Schäferkamp 16 und 16 a-f von der Meldung aufgeschreckt, dass ihr Haus am 27. Mai zwangsversteigert werden soll. Nach dem Tod des Eigentümers will die zerstrittene Erbengemeinschaft - die Witwe und deren zwei Söhne - Kasse machen. Angelika Olsson vom Verwalter Hinsch & Völckers bestätigt auf Nachfrage, »dass die Erben sich nicht einigen konnten« und deshalb die Zwangsversteigerung bevorstehe. »Es besteht die Gefahr, dass nach der Versteigerung der Liegenschaft ein Investor durch Modernisierungsmaßnahmen die Mieten in die Höhe treibt, was zwangsläufig Verdrängungseffekte nach sich zieht«, warnt Paul-Hendrik Mann vom Mieterverein zu Hamburg.

Ein im März 2019 erstelltes Gutachten beziffert den Wert des 2724 Quadratmeter großen Grundstücks und der Immobilien - 52 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten - auf 10,1 Millionen Euro. Das sind rund 4000 Euro pro Quadratmeter Wohnraum. Den ermittelten Wert bezeichnet Mieter Bernhard Mayer, der seit 31 Jahren im Kleinen Schäferkamp lebt, wegen des erheblichen Sanierungsstaus als »völlig überhöht«. Das 1880 errichtete Mehrfamilienhaus wäre aufgrund der Mängelliste für potenzielle Investoren eine echte Herausforderung: feuchte Keller, undichte Fenster, altertümliche Elektrik, mit Sperrholz ausgestattete Nassräume und Schimmelbildung auf Kältebrücken in einem Großteil der Wohnungen.

»Das Schanzenviertel Hamburg ist der ›Place to be‹. Wild, jung und kreativ ist die Gegend rund um die Sternschanze« - in diesem Stil wird die nur 0,6 Quadratkilometer große Hamburger Gentrifizierungshochburg in Reiseführern und auf privaten Urlaub-Websites gehypt. Kein Wunder, dass sich Spekulanten seit Jahren dort um die raren Immobilien reißen: Laut immowelt.de werden für Eigentumswohnungen aktuell Quadratmeterpreise bis 8250 Euro aufgerufen. »Neulich traf ich einen Herrn im Nadelstreifenanzug mit einer Spiegelreflexkamera, der sich als Makler vorstellte und sagte, er würde die Wohnungen gerne umwandeln«, berichtet Sebastian im Brahm, der seit fünf Jahren im kleinen Schäferkamp lebt. »Eine Umwandlung in Eigentumswohnungen und ein Verkauf ebendieser ist langfristig tatsächlich nicht ausgeschlossen, sodass die Gefahr von Eigenbedarfskündigungen steigt«, erläutert Mietervereins-Jurist Mann die Rechtslage.

Doch Freiwild für gierige Investoren will die aufmüpfige Mieterschaft im Kleinen Schäferkamp nicht sein. »Wir haben uns zusammengeschlossen und die Initiative KS16HH gegründet. Unser Ziel ist die Selbstverwaltung des Objekts in Form einer Genossenschaft oder ähnlichen Organisation«, sagt Bernd Griesebock, Sprecher der Initiative, der seit 14 Jahren dort wohnt. Nur so könne sichergestellt werden, dass das Wohnen für alle auch weiterhin bezahlbar bleibe. Hintergrund: Die zurzeit geltende Soziale Erhaltungsverordnung, die den Abbruch, Modernisierungen und Umwandlungen in Eigentum genehmigungspflichtig macht, läuft 2023 aus. »Auch die Aufnahme in eine bereits existierende sozial agierende Genossenschaft oder Stiftung wäre uns sehr willkommen«, nennt Mitstreiter Bernhard Mayer, seit 31 Jahren Mieter, eine zweite Option für die kampfbereite Mietergemeinschaft.

Seit Bekanntwerden der Zwangsversteigerung hat die Initiative einige Hebel in Bewegung gesetzt: die Lokalpolitik informiert, den Mieterverein zu Hamburg eingeschaltet und die Hausfassade mit Transparenten dekoriert. Die Botschaft ist eindeutig: »Spekulant. Wir ekeln Dich raus!«; »Mietwucher: Keine Chance«; »Angucken, nicht anfassen!«. Das kleine gallische Dorf am Rand der Schanze ist fest dazu entschlossen, der Streitmacht der Spekulanten die Stirn zu bieten.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal