Verwöhnt und selbstgerecht

Mit »Eurotrash« legt Christian Kracht einen Gegenwartsroman irgendwo zwischen Polemik und Plattheit vor

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 7 Min.

Ein Mann besucht seine alkoholkranke und tablettenabhängige Mutter in ihrer geschmacklosen Villa in Zürich. Er findet die alte Frau nicht wie befürchtet mal wieder leblos in ihrem Erbrochenen, sondern recht guter Dinge vor. Sie ist reiselustig, und gemeinsam begeben sich die beiden auf einen skurrilen Roadtrip im Taxi. Vorher holen sie noch schnell 600 000 Franken von der Bank - der Teil des Familienvermögens, der in Waffenaktien angelegt war. Das Geld, das die Mutter fortan zusammen mit einer Flasche Wodka und einem Vorrat an Psychopharmaka in einer Plastiktüte mit sich herumträgt, will sie unterwegs verschenken. Während der Fahrt streiten die beiden über die Nazi-Vergangenheit der Familie und die schriftstellerischen Leistungen des Sohnes, der zufälligerweise Christian Kracht heißt.

»Eurotrash« wurde als Fortsetzung von Christian Krachts »Faserland« angekündigt, und im Buch wimmelt es nur so von Verweisen auf das Kultbuch der 90er Jahre, ebenso wie auf die Biografie des Autors. Als »Faserland« erschien, ließ die Lektüre viele ratlos oder verärgert zurück. Einige sprachen dem Text ab, Literatur zu sein. Denn der Roman bot weder einen der Hochkultur angemessenen Inhalt noch eine gewählte, wohlkomponierte Sprache. Stattdessen erzählte ein verwöhnter und selbstgefälliger junger Mann in unbeholfenem Ton, wie er von einer Party zur nächsten taumelte und wie schlecht alle außer ihm angezogen waren.

Es ist nicht schwer, genervt zu sein von dieser arroganten Zurschaustellung von Geld, Statussymbolen und Verschwendung in »Faserland«. Doch nur wenige Jahre später galt der Roman als ein Meilenstein, als Beginn der deutschsprachigen Popliteratur. Statt auf ausgefeilte Narration und Reflexion setzt Popliteratur auf Gegenwärtigkeit und ungefilterte Beschreibung von banalen Alltäglichkeiten, Konsum und Spaßkultur. Oft wird dieser Literatur vorgeworfen, nur die Oberfläche im Blick zu haben und die Konsumwelt, die sie beschreibt, ohne jede Kritik zu affirmieren.

Einem großen Teil der Popliteratur wird man damit aber nicht gerecht. Ihre ungefilterte Darstellung der Gegenwart lässt durchaus Raum für Kritik an dieser. So zeigt der Erzähler von »Faserland« zwar die oberflächliche Spaßkultur, aber Spaß hat er dabei keinen. Seine Geschichte ist eigentlich ziemlich traurig und zeugt von einer inneren Leere und Erfahrung von Sinnlosigkeit, gegen die kein Geld und keine Party helfen. Besonders auffällig ist, dass er - zwischen den Lobliedern auf seine Barbourjacke - immer wieder auf die Verbrechen des Nationalsozialismus zu sprechen kommt, an den in seinem Umfeld niemand mehr zu denken scheint.

»Faserland« war eine wirksame Provokation, die den Nerv der Zeit traf und sogar zur Schullektüre erklärt wurde. Seitdem ist viel passiert im Universum Christian Kracht. Sein Schreiben ist vielfältiger geworden, sein Stil ausgefeilter, das Spiel mit Verweisen und Verknüpfungen in seinen Büchern komplexer. Die Selbstinszenierung ist zu einem wichtigen Teil von Krachts Schreiben und Auftreten geworden, das stets etwas Spielerisches, und mitunter Provokatives an sich hat, das sich oft nur schwer fassen lässt. Nicht selten trat die Literatur hinter diesem Verwirrspiel der Person zurück. Die Debatte etwa um den Roman »Imperium« und die Frage, ob Kracht ein Rechter sei, verlor den Text selbst völlig aus den Augen. »Eurotrash« stellt nun den Höhepunkt der Selbstinszenierung dar, indem Kracht sich selbst zur Romanfigur macht und diese Figur betonen lässt, »Faserland« sei fiktiv gewesen, aber: »Dies hier ist echt.«

Mit dieser Behauptung tut er dem Text keinen Gefallen. Autofiktion erlebt seit Jahren einen solchen Boom in der Literatur, das Spiel mit Realität und Fiktion ist schon so oft gespielt worden, dass die autobiografischen Anspielungen in »Eurotrash« wenig mehr als ein müdes Lächeln hervorrufen. Die Autorfigur lenkt vom eigentlichen Text ab und verleitet einen dazu, sich mehr Gedanken darüber zu machen, inwiefern die Figur Christian Kracht mit der Person Christian Kracht übereinstimmt, als über die im Roman entfaltete Geschichte. So gut manche Autor*innen das Experiment mit Brüchen und Selbstreferenzialität beherrschen, so lahm und uninspiriert wirkt es hier. An einer Stelle fragt die alte Mutter: »Wußtest Du, daß wir gerade in einem Buch beschrieben werden?« Originell ist anders.

Wie schreibt man die Fortsetzung eines Kultbuchs? Am besten gar nicht. Welchen Sinn hat es, 25 Jahre später etwas zu einem Buch hinzuzufügen, dessen große Stärke darin lag, dass es nichts erklärte, sondern für sich stand? »Faserland« funktionierte, weil es überforderte, indem es seinem Publikum die unschönen Phänomene der Gegenwart einfach entgegenschleuderte, ohne sie zu begründen oder zu reflektieren. Zum Glück ist »Eurotrash« keine echte Fortsetzung, es hat nicht denselben Erzähler und funktioniert anders als »Faserland«. Trotzdem wirkt es wie ein nachträglicher Kommentar, der »Faserland« einordnen will, obwohl dieses Buch doch schon mit mehr als genug Labels bedacht worden ist.

Parallelen zwischen beiden Büchern gibt es einige. Beide Romane beginnen mit dem Wort »Also« und enden mit einem nicht sehr hoffnungsvollen »bald«. Und während der Ich-Erzähler von »Faserland« das Grab von Thomas Mann nicht finden kann, entdecken Mutter und Sohn das von Jorge Luis Borges mit Taschenlampen auf dem nächtlichen Friedhof. Beides übrigens großartig komische Szenen. In »Eurotrash« findet der Erzähler eigentlich genau wie in »Faserland« alles ziemlich scheiße, nur dass er fürs Schimpfen jetzt längere Sätze verwendet. Dabei bewegt er sich meist irgendwo zwischen treffender Polemik und Plattheit: »Es gab keine Musik und keine Filme und keine Literatur, es gab gar nichts in der Schweiz, lediglich die Gier der Schweizer nach mehr Luxus, das Verlangen nach Sushi und bunten Turnschuhen und Porsche Cayennes und dem Bau weiterer immenser Baumärkte in den wuchernden Agglomerationen.«

Auch das »Faserland«-Gefühl von Leere und Sinnlosigkeit findet sich hier in leicht veränderter Form wieder. Interessanterweise ist es in »Eurotrash« die Mutter, die als Spiegelfigur des ständig betrunkenen Erzählers von »Faserland« funktioniert. Jetzt ist sie es, die sich von Rausch zu Rausch hangelt, die auf den Teppich kotzt, Verschwendung praktiziert und dabei die Erfüllung, die sie sucht, nicht finden kann. Sie ist die eigentliche Hauptfigur des Romans, diejenige, die ihren Sohn zum Erzählen bringt und dafür sorgt, dass die Geschichte vorankommt, wenn auch nicht immer so, wie sie es sich wünscht.

Eigentlich will sie noch einmal richtig verreisen, nach Afrika, um die Zebras zu sehen. Stattdessen fährt ihr Sohn mit ihr bloß ein wenig durch die Schweiz. Unterwegs ergeben sich einige schön groteske Szenen zwischen der herrischen Mutter und dem genervten Sohn, der widerwillig den Beutel an ihrem künstlichen Darmausgang wechselt. Die erste Station der Fahrt ist eine Kommune in den Bergen, die vielleicht, wie der Sohn denkt, ein geeigneter Empfänger für das Geld sein könnte, das sie verschenken wollen. Doch leider besteht die Kommune nicht aus freundlichen Hippies, sondern aus einem Haufen Nazis.

Wie »Faserland« kommt »Eurotrash« immer wieder auf das Thema Nationalsozialismus zurück, allerdings in reflektierter Weise. Der Roman thematisiert, wie Krachts Familie am Nationalsozialismus partizipierte und davon profitierte. Vor allem das Schweigen über diese Vergangenheit - genauso wie über den sexuellen Missbrauch, den sowohl Mutter als auch Sohn erleben mussten - klagt der Erzähler an. Wenn »Eurotrash« eine Fortsetzung von »Faserland« ist, dann am ehesten in diesem Punkt: Während der Verweis auf die Nazi-Vergangenheit im ersten Buch diffus bleibt, wird sie hier offen thematisiert. Die Nazi-Kommune steht dabei sinnbildlich für die Unmöglichkeit, aus dieser Vergangenheit auszubrechen. Beim Versuch, das schmutzige Geld der Familie einem besseren Zweck zuzuführen, geraten sie bloß wieder an die Nazis, denen sie entkommen wollten.

Es sind große Themen, die sich Kracht in »Eurotrash« vornimmt - der Abschied von der Mutter, die Erinnerung an die Kindheit, die Aufarbeitung von Nazi-Vergangenheit und sexuellem Missbrauch und nicht zuletzt auch das eigene Schreiben. Mitunter gelingt es ihm, all das in berührende Szenen voll trauriger Komik zu packen. Doch meist bleibt alles doch oberflächlich, nur anekdotenhaft und angeschnitten - oder verliert sich in einem seltsamen Pathos: »In diesem Augenblick wußte ich, daß alles jetzt exakt entweder so weitergehen würde bis zu ihrem Tod oder daß ich jetzt, nur jetzt, genau jetzt in diesem Moment ausbrechen könnte aus dem Kreis des Mißbrauchs, aus dem großen Feuerrad, aus dem sich drehenden Hakenkreuz.«

Mit »Eurotrash« dreht sich Kracht ebenfalls im Kreis - immer nur um sich selbst.

Christian Kracht: Eurotrash. Kiepenheuer & Witsch, 224 S., geb., 22 €.

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