Galgenfrist für Kohledörfer

Neue Leitentscheidung für Braunkohle im Rheinischen Revier

Zwei Jahre mehr Zeit werden den Bewohnern der Dörfer Keyenberg, Kuckum, Berverath sowie Ober- und Unterwestrich eingeräumt, bis sie umgesiedelt werden. 2028 soll der Vorgang abgeschlossen sein. Zwei Jahre vorher, so sieht es die am Dienstag beschlossene neue Leitentscheidung der nordrhein-westfälischen Landesregierung vor, soll noch einmal überprüft werden, ob die Umsiedlungen weiter notwendig sind oder ob bereits genug Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird und der Tagebau Garzweiler früher stoppen kann.

Mehr als eine Galgenfrist für die bedrohten Dörfer dürfte das nicht bedeuten, denn in der Leitentscheidung wird grundsätzlich davon ausgegangen, das Garzweiler gebraucht wird. Braunkohle werde »bis in die 30er Jahre hinein im deutschen Energiemix benötigt«, heißt es in einer Mitteilung des NRW-Wirtschaftsministeriums. Ohne die Kohle aus dem Rheinland wäre die »Stabilität der Energieversorgung angesichts des bevorstehenden Kernenergieausstiegs und des schnell voranschreitenden Ausstiegs aus der Steinkohleverstromung nicht gewährleistet«.

Aussagen, die bei Dorfbewohnern und Umweltschützern für großen Unmut sorgen. Britta Kox aus Berverath ist verärgert. »Laschet und Co pfeifen auf die aktuelle Faktenlage genauso wie auf die Stimmen von uns Betroffenen«, erklärte sie am Dienstag vor dem Düsseldorfer Landtag, wo sie gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Bündnisses »Alle Dörfer bleiben« protestierte. Für sie und ihre Familie stehe fest, »dass wir in unserem Haus wohnen bleiben. Aufgeben war für uns noch nie eine Option!«

Antje Grothus, die als Anwohnerin des Tagebaus Hambach in der Kohlekommission saß, wirft der NRW-Landesregierung vor, mit der Leitentscheidung den Kohlekompromiss zu brechen. Armin Laschet beweise damit ein »konzernfreundliches und naturverachtendes Verhalten«. Er habe »die Chance verpasst, den Kohleausstieg im Sinne der betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner sozialverträglich und gerecht auszugestalten«. Statt die Dörfer zu schützen und eine »lebenswerte Zukunft« zu garantieren, habe die Landesregierung für »Planungsunsicherheit und unzumutbare Belastungen für alle Betroffenen« gesorgt, ärgert sich Grothus.

Für die Vorsitzende der Grünen in NRW, Mona Neubaur, ist »die Leitentscheidung heute schon von gestern«. Sie kritisierte deren mangelnde fachliche Grundlage. Ob die Kohle in Garzweiler wirklich benötigt werde, sei nicht geprüft worden. Auch die Auswirkung der Entscheidung auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens finde keine Berücksichtigung. Für die Grünen-Chefin ist klar: »Die Leitentscheidung wird keinen Bestand haben, weil sie konsequenten Klimaschutz unmöglich macht, den sozialen Frieden im Revier vernachlässigt und keine verlässliche Perspektive für den Strukturwandel bietet.« Einzig für RWE verspreche die Leitentscheidung eine »goldene Zukunft«, so Neubaur.

Dirk Teßmer bezeichnet die Entscheidung der Landesregierung als »für den rechtlichen Widerstand unbedeutend«. Der Anwalt vertritt die Solidargemeinschaft »Menschenrecht vor Bergrecht«, die gemeinsam ein Grundstück am Dorfrand von Keyenberg besitzt. Die Gruppe setzt auf den juristischen Weg. Wenn RWE Keyenberg wegbaggern will, muss das Grundstück enteignet werden. Im Enteignungsverfahren hofft »Menschenrecht vor Bergrecht« zu gewinnen. »Juristisch ist die ›Leitentscheidung‹ irrelevant, da sich hieraus weder gegenüber den Anwohnern noch gegenüber Städten und Gemeinden Konsequenzen ergeben«, so Teßmer. Der Anwalt forderte RWE am Dienstag auf, endlich den Antrag auf Enteignung des Grundstücks zu stellen, damit man gerichtlich klären könne, ob »Enteignungen für Braunkohle noch verfassungsgemäß« seien.

Die Landesregierung stellt bei der Vorstellung der Leitentscheidung das Ende des Kohleabbaus in den Tagebauen Inden und Hambach im Jahr 2029 in den Vordergrund und betont, dass damit 1,2 Milliarden Tonnen CO2 weniger ausgestoßen würden als im letzten Leitentscheid festgehalten, der 2016 von der rot-grünen Vorgängerregierung beschlossen wurde. Auch der Strukturwandel werde jetzt auf den Weg gebracht.

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