»Völlig konstruierte Vorwürfe«

Mehr als 30 Initiativen starten Solidaritätskampagne für drei auf Malta angeklagte Geflüchtete

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund ein Dutzend Menschen steht am Freitag mit Plakaten, Abstand und Mundschutz vor der maltesischen Botschaft in Berlin. Auf ihren Schildern prangen Botschaften wie »Befreit die El Hiblu 3« und »Keine Strafverfolgung der Geflüchteten«. An der Protestaktion sind unter anderem Borderline Europe, die Bewegung Seebrücke und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) für Demokratie und Menschenrechte beteiligt. Ingesamt knapp 30 Initiativen, darunter auch Pro Asyl und Sea Watch, haben gemeinsam gefordert, die Anklage gegen die als »El Hiblu 3« bekannten Flüchtlinge fallen zulassen.

Worum geht es genau? Ende März 2019 wurde der Öltanker »El Hiblu 1« von der EU-Militärmission EUNAVFOR MED Operation »Irini« angewiesen, 108 Menschen aus Seenot zu retten, unter ihnen mindestens 15 Kinder. Der Kapitän nahm nach der geglückten Rettung jedoch Kurs auf Libyen, um die Geflüchteten dorthin zurückzubringen. Diese behaupteten, er habe ihnen zuvor etwas anderes versprochen. Folter, Menschenrechtsverletzungen und ökonomische sowie sexuelle Ausbeutung sind gerade für Schutzsuchende in den unzähligen Lagern des zerrütteten Landes an der Tagesordnung. Die Geflüchteten versuchten daher, den Kapitän von einer Umkehr zu überzeugen. Panik und Verzweiflung brachen aus, es kam zu Protesten.

Drei Heranwachsende aus Guinea und Côte d’Ivoire, zum damaligen Zeitpunkt 15,16 und 19 Jahre alt, vermittelten und übersetzten zwischen der Besatzung und den Geretteten. Sie setzten sich zudem für die Rechte der Geflüchteten ein. Der Kapitän fuhr schließlich doch in Richtung Europa. Die maltesischen Behörden stürmten dann das Schiff und behaupteten, die Jugendlichen hätten es mit Gewalt unter ihre Kontrolle gebracht. Sicherheitskräfte nahmen die Heranwachsenden fest und warfen ihnen »Terrorismus« vor. Bis November 2019 befanden sich alle drei in Untersuchungshaft, danach kamen sie auf Kaution frei. Unter Meldeauflagen und mit Ausgangssperren belegt müssen sie seitdem monatlich an der Gerichtsverhandlung teilnehmen und Verhöre über sich ergehen lassen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen lebenslange Haftstrafen.

Die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen sind derweil davon überzeugt, dass die Vorwürfe gegen die Geflüchteten haltlos sind. »Die drei Jugendlichen hatten schlicht versucht, ihre Sicherheit zu verteidigen und die übrigen Geretteten zu schützen. Nun sitzen sie auf der Anklagebank«, heißt es in einer Mitteilung von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation spricht davon, dass es »so gut wie keine Beweise« gebe, die die Anklagen untermauern würden, Gewalt sei keine angewendet worden. Auch Pro Asyl spricht von »friedlicher Notwehr« der Geflüchteten und ruft zur Solidarität mit ihnen auf. Die Organisation verweist darauf, dass der Öltanker dabei war, einen illegalen Push-Back vorzunehmen. »Wiederholt haben Handelsschiffe Schutzsuchende aus Seenot gerettet und zurück nach Libyen gebracht, obwohl dies kein ›sicherer Ort‹ für sie ist - wie auch der UNHCR in einem Positionspapier vom September 2020 wiederholt«, heißt es in einer Stellungnahme. Die Ausschiffung an einem »sicheren Ort« sei jedoch in internationalem See- und Flüchtlingsrecht festgeschrieben.

Auch der RAV zeigte sich empört. »Die Ereignisse vom März 2019 werden auf den Kopf gestellt und international anerkannte Rechtsstaatsprinzipien in Frage gestellt«, erklärte Vorstandsmitglied Berenice Böhlo. »Wir beobachten in großer Sorge die Erosion des Rechtsstaats und eine neue Eskalation bei der Kriminalisierung von Geflüchteten«, so Böhlo. Die Juristen-Vereinigung fordert die Einstellung des Verfahrens und verweist auf die Notwendigkeit, internationale Normen und Vereinbarungen zu respektieren und deren Durchsetzung zu befördern. Die nächste Anhörung im Prozess ist für den 15. April angesetzt. Der RAV und seine europäische Partnerorganisation, die Europäischen Demokratischen Anwältinnen und Anwälte (EDA-AED), werden das Verfahren kritisch begleiten. Erst Anfang März durfte eine Geflüchtete als Augenzeugin über die Geschehnisse vom März 2019 berichten.

Unterdessen regen sich auch in der Politik kritische Stimmen. »Die Terrorismus-Vorwürfe gegen drei junge Männer, die als ›El Hiblu 3‹ bekannt sind und denen eine lebenslange Haftstrafe auf Malta droht, sind völlig konstruiert«, erklärte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, anlässlich des zweiten Jahrestages der Festnahmen. Das Verfahren diene laut der Abgeordneten vor allem der Einschüchterung und Kriminalisierung aller Geflüchteten, die für ihre Rechte und ihr Leben einstehen. »Die maltesischen Behörden müssen die Anklage sofort fallen lassen und das Verfahren einstellen«, forderte die Politikerin. Es sei kein Verbrechen, seine Heimat zu verlassen, in der das eigene Leben in Gefahr ist oder in der man keine Zukunft hat, betonte Jelpke. »Es ist auch kein Verbrechen, aus Libyen zu fliehen, wo Menschen eingesperrt, gefoltert und getötet werden. Und es ist erst recht kein Verbrechen, sich gegen illegale Pushbacks in eben dieses Kriegsland zu wehren.«

Auch der Linke-Abgeordnete Andrej Hunko erklärte seine Unterstützung. »Während die EU internationales Recht bricht, Menschen in Camps pfercht und illegale Pushbacks durchführt, werden Geflüchtete und ihre Retter weiter kriminalisiert«, erklärte der Politiker. »Heute, zwei Jahre nach ihrer Festnahme, fordere ich gemeinsam mit vielen anderen: Free El Hiblu 3!«

Die Besatzung der Sea-Watch 4 veröffentlichte am Freitag ebenfalls ein Solidaritätsfoto. »Widerstand gegen illegale Push-Backs nach Libyen ist kein Verbrechen«, hieß es in einem Statement. Nach Angaben von Pro Asyl wurden 2020 fast 12 000 Flüchtlinge zurück in das Bürgerkriegsland gebracht.

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