Vom Hotspot erneut zum Vorbild

Portugal hat mit einem harten Lockdown in zwei Monaten die Inzidenzrate von 900 auf 29 gedrückt

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es ist immer noch alles ziemlich merkwürdig«, erklärt die junge portugiesische Lehrerin Joana Cabral. Nach zwei Monaten hat auch diese Grundschullehrerin am 15. März wieder mit dem Unterricht begonnen, als Portugal nach der dritten Corona-Welle in die Öffnung des Lockdowns eingestiegen ist. 700 000 Schüler besuchen nun, unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, wieder den Unterricht in den Unterstufen. Obwohl die Mehrzahl der Eltern das begrüßt, sind viele weiter besorgt. Die Angst ist groß, die hart erkämpften Erfolge zu verspielen, meint Cabral.

Die Covid-Lage im Land ist wieder fast vorbildlich. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner liegt bei knapp 29, weit unter dem EU-Durchschnitt. In Deutschland liegt sie bei 135, Tendenz steigend. Doch niemand möchte in Portugal erneut ein Drama wie im Januar und Februar erleben. Da stand das Land am Abgrund, das Gesundheitssystem kollabierte und bei der Zahl der Neuinfektionen und Toten pro 100 000 Einwohnern nahm Portugal weltweit einen Spitzenrang ein. Damals stieg die Sieben-Tage-Inzidenz auf fast 900, als sich die aggressivere britische Variante ausbreitete. In der Hauptstadt Lissabon explodierte sie sogar auf 2000.

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Am Montag wurden im Land 309 Neuinfektionen registriert, in der Spitze waren es 17 000. Wichtig ist, dass nur 1,5 Prozent aller Tests positiv ausfallen. Das lässt auf eine niedrige Dunkelziffer schließen. Zwischenzeitlich waren es 20 Prozent und die Pandemie damit außer Kontrolle. Deutschland liegt mit knapp acht Prozent deutlich über der Schwelle, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit maximal fünf Prozent als noch unter kontrollierbar definiert.

In portugiesischen Krankenhäusern befinden nun sich wieder so wenige Covid-19-Fälle wie zuletzt im vergangenen Oktober. Verantwortlich dafür war eine Mischung aus harten Einschnitten und einem disziplinierten Verhalten der Bevölkerung. Zunächst hatte die sozialistische Regierung im Januar nur einen weichen Lockdown versucht und ließ zum Beispiel Schulen geöffnet. Als sich die Lage aber weiter zuspitzte, zog die Regierung unter António Costa die Notbremse. Er schwor die Bevölkerung auf »sehr harte Wochen« ein.

Trotz der Präsidentschaftswahl Ende Januar wurde ein harter Lockdown verordnet. Die Hauptstadt Lissabon, ausgenommen am Wahlsonntag, glich fast zwei Monate einer Geisterstadt. War die Einreise per Flugzeug und Schiff schon unterbunden, sperrte man das Land auch auf dem Landweg ab. Man griff insgesamt auf die Maßnahmen zurück, mit denen Portugal vor einem Jahr gut durch die erste Welle gekommen war. Da man auch die zweite Welle mit beschränkten Maßnahmen gut in den Griff kam, verloren viele Menschen die Angst.

Im vergangenen Herbst hatte die Regierung den Fehler begangen, die Schutzmaßnahmen fast vollständig aufzuheben, um die schwer gebeutelte Wirtschaft zu stützen und das Weihnachtsgeschäft zu retten. Das bezahlten das Land und seine Bewohner teuer. Allein im Januar verzeichnete man fast 5600 Covid-19-Tote. Das war fast die Hälfte aller Todesfälle der gesamten Pandemie.

Dieser Fehler soll an Ostern nicht wiederholt werden. »Wir können keine Risiken eingehen und alles wieder aufs Spiel setzen«, sagt Costa nun. Man müsse »behutsam und schrittweise« vorgehen. Neben Kitas und der Unterstufe dürfen derzeit nur Friseure und Buchläden öffnen. Der Notstand wurde bis zum 15. April verlängert und bis dahin bleiben auch die Grenzen zu Spanien genauso geschlossen, wie Universitäten und Oberstufen. Sport und Spaziergänge darf es weiter nur im Umfeld der Wohnung geben und auch an Ostern dürfen die Portugiesen ihren Landkreis nicht verlassen. Erst danach beginnt das Land in seinem dreistufigen Plan mit der Öffnung von Kultur, Geschäften und der Gastronomie, um auch das Tourismusgeschäft zu normalisieren.

Zwar ist auch die Abgeordnete des Linksblocks Isabel Pires sehr froh, dass sich die Lage deutlich verbessert hat. »Doch zuletzt ist die Inzidenz wieder gestiegen«, warnte sie gegenüber »nd«. »Wir sind nicht sicher, ob der Öffnungsplan richtig ist.« Sie verweist aber auf die prekäre soziale Lage. Hilfsgelder kämen nicht bei allen an und viele, vor allem kleine und mittlere Unternehmen stünden vor dem aus. »Wir drängen auf Hilfsmaßnahmen und auf eine sichere Öffnung«, erklärt Pires. Bisweilen muss der Linksblock nun Sozialmaßnahmen auch mit der rechten Opposition gegen die Stimmen der Sozialisten durchsetzen.

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