Werbung

»Police Academy« auf Schwäbisch

Winfried Kretschmann und seine Partei stehen medial kurz vor der Heiligsprechung. In welchem Bundesland liegt noch mal Stuttgart, in dem 10 000 Wirrköpfe stundenlang machen konnten, was sie wollten?

Es ist nicht überraschend, dass die Polizei bei der lustigen »Querdenker«-Demo in Stuttgart »völlig überrascht« war ob der Anzahl der Teilnehmer. In Kassel, Berlin, Leipzig etc. war das auch schon so. Die Lageeinschätzung bei der Polizei scheint also bundesweit von Menschen vorgenommen zu werden, die morgens freundlich ihr Spiegelbild grüßen, weil sie den freundlichen Herren im Rasierspiegel gerade zum ersten Mal sehen. So eine Fehleinschätzung kann passieren, und da man die drolligen 10 000 mit den irren Plakaten ja nicht einfach wieder nach Hause schicken kann, nur weil sie sich einen Dreck um Abstand und Maske kümmern, werden die ab Dienstag eben andere Menschen infizieren. Ich zähle schon die Stunden, bis der erste Politiker wieder darüber klagt, dass die Menschen den Respekt vor der Polizei verlieren. Dabei könnte das auch daran liegen, dass sie bei Corona-Demos seit über einem Jahr agiert wie die Kollegen von der »Police Academy«.

Dabei durfte das Stuttgarter Stelldichein aus AfDlern, Ellenbogen-Liberalen, Homöo- und Psychopathen in Zeiten stattfinden, in denen Lehrerinnen ihren Schülern erklären, dass Masken auch auf dem Pausenhof getragen werden müssen. Und in denen die Intensivstationen wieder voll sind - diesmal mit 50- statt 85-Jährigen. Zeiten, in denen den Angehörigen der Opfer des Hanauer Amoklaufes selbst unter Beachtung der Abstandsregeln verboten wurde, öffentlich zu trauern.

Immerhin: Die Polizei ist am Sonnabend nicht völlig untätig gewesen, während Tausende über Stunden den Rechtsstaat verhöhnten. Nein, die Gegendemo, bei der Abstand und Maske gewahrt waren, löste sie auf.

Ministerpräsident des Bundeslandes, in dem all das passiert, ist Winfried Kretschmann, ein Mann, der bei vielen meiner Berufskollegen kurz vor der Heiligsprechung zu stehen scheint. Zumindest in meinem Landstrich, in dem die 35- bis 55-Jährigen ähnlich unhinterfragt die Grünen wählen, wie ihre Eltern CDU gewählt haben. Es genügt, dass die Partei das Wort »Klimaschutz« plakatiert, und sie fragen sich nicht mehr, wer noch mal diese Partei war, die seit zehn Jahren regiert. Und was die in dieser Zeit noch mal genau für den Klimaschutz getan hat. Oder wie erfolgreich die Versuche waren, sich bei Corona nicht noch mehr zu blamieren als die anderen 15 Bundesländer.

Auch am Sonnabend jedenfalls wies ein Stuttgarter Ministerialdirektor darauf hin, dass auf Basis der Corona-Verordnung durchaus ein Verbot möglich gewesen wäre, wenn, ja wenn das Sozialministerium die gleiche Verordnung wie das Kultusministerium erlassen hätte, wonach Veranstaltungen im Freien nur mit maximal 500 Personen erlaubt sind.

Gibt es aber nicht, denn das Sozialministerium untersteht einem gewissen »Manne« Lucha, der schwäbischen Antwort auf Andreas Scheuer. Lucha hat es geschafft, das bundesweit mutmaßlich größte Chaos bei der Vergabe von Impfterminen anzurichten: In Baden-Württemberg war es beispielsweise möglich, sich auch als Bewohner eines anderen Bundeslandes einen der Termine zu sichern, für die manche Oma über 600 Mal bei einer Hotline anrief, um nach jeweils zwei Stunden zu erfahren, dass es gar keine Termine gibt. Lucha hat Millionen nicht funktionierender Masken für Lehrerinnen und Lehrer bestellt, er hat alle Landkreise unabhängig von der Einwohnerzahl mit gleich viel (also: wenig) Vakzin ausgestattet. Das Sozialministerium meint im Übrigen, die Stadt hätte den Spuk trotzdem verbieten können. Warum man das alles nicht schon am Freitag geklärt hat, und warum die Polizei unabhängig von einem Verbot nicht einfach die Coronaregeln durchsetzt? Wäre spannend zu erfahren, doch wahrscheinlich wird es keine kritischen Nachfragen im Landtag geben. Grüne stellen die - wenn überhaupt - nur, wenn sie in der Opposition sind. Und bei FDP und SPD gilt als unumstößliche Wahrheit, dass die Polizei immer alles richtig macht.

Die wird auch bald wieder Gelegenheit haben zu zeigen, dass sie den Rechtsstaat mit aller Konsequenz schützt. Irgendwann wird es ja mal wieder Fußballspiele mit Zuschauern geben, bei denen ein paar hundert Fans stundenlang eingekesselt werden können. Was soll eine wehrhafte Demokratie auch anderes machen, wenn ein Laternenmast mit hässlichen Aufklebern malträtiert wurde?

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal