Wo sich Großmächte auf die Füße treten

Die Balkanländer profitieren von der Auseinandersetzung um Einfluss zwischen China, den USA und Europa

  • Roland Zschächner
  • Lesedauer: 5 Min.

In Serbien geht es familiär zu: Nachdem sich Staatspräsident Aleksandar Vucic Anfang April das chinesischen Corona-Vakzin von Sinopharm in den Oberarm hat spritzen lassen, verkündete er über Instagram: »Danke euch, chinesische Brüder!« Einer davon ist nach Vucic Aussagen auch sein Pekinger Amtskollege Xi Jinping, der es ermöglicht haben soll, dass das Balkanland nun Hunderttausende günstige Impfdosen aus der Volksrepublik erhalten hat. Belgrad liegt damit bei seiner Immunisierungskampagne in Europa auf einem der vorderen Plätze, denn die Regierung kann zudem auf Sputnik V aus Russland sowie Präparate westlicher Pharmakonzerne zurückgreifen. Wenn alles wie geplant läuft, könnte Serbien bald sogar selbst Sputnik und Sinopharm produzieren.

Während Serbien mittlerweile großzügig Impfstoffe an seine Nachbarländer verteilt, werden die Warnungen aus westeuropäischen Redaktionsstuben lauter, die den wachsenden chinesischen Einfluss auf dem Balkan als Bedrohung ausgemacht haben. Diese Mahnungen sind nicht neu, denn Peking hat seit rund zehn Jahren sein Engagement auf der Halbinsel ausgebaut. Mit der »One Belt Initiative«, auch bekannt als »Neue Seidenstraße«, investiert China in große Infrastrukturprojekte wie den Ausbau der Eisenbahnverbindung zwischen Belgrad und Budapest. Auch in anderen Bereichen wie der Telekommunikation reicht die Volksrepublik ihre helfende Hand - und dies nicht nur Serbien, sondern allen Ländern des Balkans und Osteuropas. Dafür wurde eigens das Wirtschaftstreffen »16+1« ins Leben gerufen, das seit 2012 regelmäßig stattfindet und 2019 um Griechenland erweitert wurde.

Für die chinesische Belt-Initiative hat der Balkan eine Schlüsselrolle als Transitroute nach Westeuropa. Ausgehend vom griechischen Hafen Piräus, der seit 2016 mehrheitlich dem chinesischen Staatsunternehmen Cosco gehört, sollen die Warenströme aus der Volksrepublik über Straße und Schiene weiter Richtung Norden transportiert werden. Für den Ausbau werden meist chinesische Unternehmen herangezogen. Daneben hat sich Peking aber auch als Finanzier von Großprojekten in der Region in Stellung gebracht. Für teure Bauvorhaben, vor denen westliche Investoren zurückschrecken, gibt die staatliche chinesische Export-Import-Bank (Exim) großzügig Kredite. So hat sich Montenegro eine Milliarde Euro geliehen, um entlang der Tara eine Autobahn in die wenig erschlossenen Gebiete im Norden des Landes zu bauen. Kritiker warnen deswegen vor einer Schuldenfalle, in die die Gläubiger über kurz oder lang geraten könnten.

Vor allem in Deutschland wird Pekings Engagement mit Misstrauen betrachtet. Für die Regierung in Berlin gehört der Balkan zur eigenen Einflusssphäre, wie 2018 der für Europa zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, in einem Beitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« deutlich machte. Die Region sei »mitnichten der Hinterhof Europas, sondern vielmehr der Innenhof des europäischen Hauses«, erklärte der Sozialdemokrat. Daraus leite sich »ein vitales Interesse« ab. Dieses zeigt sich unter anderem in der ökonomischen Dominanz der Bundesrepublik, die beispielsweise der wichtigste Handelspartner Serbiens ist.

Doch damit ist die Bundesrepublik nicht allein, auch für die Vereinigten Staaten ist die Balkan-Halbinsel von geopolitischem Interesse: zum einen wegen der bedeutenden Lage als Handelsroute - mehrere Pipelines verlaufen durch die Region -, zum anderen wegen der militärischen Bedeutung, liegt der Balkan doch strategisch günstig zwischen dem Nahen Osten sowie West- und Osteuropa. Der Regierung in Washington geht es vor allem darum, den Einfluss konkurrierender Mächte in die Schranken zu weisen. Dies betrifft aber nicht nur China und Russland, sondern auch die von Berlin aus dominierte Europäische Union.

Unter der Präsidentschaft von Donald Trump wurde die Frontstellung der USA zur EU verfestigt. So verordnete Washington die Beilegung des jahrzehntelangen Streits zwischen Athen und Skopje um den Staatsnamen Mazedoniens, das daraufhin umgehend in die Nato aufgenommen wurde. Außerdem brachten die Vereinigten Staaten Serbien und dessen abtrünnige Provinz Kosovo an den Verhandlungstisch - unter Umgehung des von Brüssel gelenkten Dialogs zwischen beiden Seiten. Im vergangenen September unterschrieben Vucic und der damalige kosovarische Premier Avdullah Hotiin in Washington ein Abkommen zur Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen. Darin sicherten sich die USA nicht nur ökonomischen Einfluss, sondern legten zugleich fest, dass unter anderem das chinesische Unternehmen Huawei vom Ausbau des jeweiligen 5G-Netzes ausgeschlossen wird.

Welche Bedeutung der Balkan für die USA hat, zeigt auch das im März begonnene Nato-Großmanöver »Defender Europe 2021«, bei dem noch bis in den Sommer hinein 28 000 Soldaten aus 26 Ländern trainieren werden. Das Einsatzgebiet erstreckt sich von der Ostsee über das Schwarze Meer bis zum Mittelmeer, wobei der Großteil der Übungen auf dem Balkan stattfinden wird. Bis auf Serbien sind alle Staaten Südosteuropas daran beteiligt. Einerseits will die Nato damit die Konfrontation gegen Russland untermauern, zum anderen geht es der westlichen Kriegsallianz aber auch darum, Peking zu verdeutlichen, wer in der Region das Sagen hat.

Für die Staaten des Balkans ist die Konkurrenz der Großmächte mitunter vorteilhaft, etwa wenn es darum geht, günstig die eigene Infrastruktur auszubauen. So hat Kroatien 2017 entschieden, die Peljesac-Brücke über die Bucht von Mali Ston von dem Konzern China Road and Bridge Corporation errichten zu lassen. 85 Prozent der Kosten für das 2,3 Kilometer lange Bauwerk, das die Exklave um Dubrovnik mit dem Rest des Landes verbindet, werden indes von der EU übernommen. Während viele Länder nur einzelne Projekte in chinesische Hand geben, hat sich Serbien unter Präsident Vucic zum Meister der Pendeldiplomatie entwickelt. Gute Kontakte werden sowohl nach Peking, Moskau, Berlin und Washington unterhalten, immer auf der Suche nach den besten Bedingungen, um die eigene Macht zu sichern. China kann vor allem damit punkten, dass es im Gegensatz zur EU wenig Interesse daran zeigt, sich mittels Strukturanpassungen in die politischen Strukturen der Länder einzumischen.

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