Angetreten zum Heimatschutz

Der neue Reservedienst dürfte der Bundeswehr vor allem Bewerber*innen bringen

«Befehl und Gehorsam funktioniert auch bei Kühlschränken», so der stellvertretende Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr, nachdem er geduldig auf dem Podium gewartet hatte, um den Medientermin am Dienstag in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin zu eröffnen.

Pandemiebedingt sitzen etwa 15 Journalist*innen in einem Saal auf Abstand und lauschen den Ausführungen von General Andreas Henne, der nicht gegen den brummenden Kühlschrank in dem sonst für gesellige Veranstaltungen genutzten Saal anreden will. Zum Medientermin sind hauptsächlich Fotograf*innen und Kameraleute erschienen, ein bisschen Lokalpresse, sowie der Pressesprecher des Reservistenverbandes. Vor der durchgestylten Flecktarnkulisse wird der neue Reservedienst vorgestellt.

«Sie kennen das aus dem Bereich Hochwasser, Waldbrände, Borkenkäfer und eben auch Corona», erläutert General Henne, wofür die mittlerweile 30 Reserve- und Unterstützungskompanien ihr Personal gewöhnlich einsetzen. Es sei kein großes Geheimnis, dass die Zahl der Kompanien in Zukunft mehr werde, sagt später der Sachgebietsleiter Territoriale Reserve, Oberstleutnant Martin Lesti. «Ich will das noch einmal ganz klar herausstellen», so General Henne«, »das sind Soldatinnen und Soldaten, die an der Waffe ausgebildet werden und das Soldatenhandwerk bei uns erlernen«.

Rund 250 Soldat*innen sollen deutschlandweit pro Quartal zum freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz antreten, der offiziell am 1. April 2021 begonnen hat. Die ersten sieben Monate erinnern dabei sehr an den Dienst, der wehrpflichtigen Männern noch bis 2011 abverlangt wurde. Offiziell ist die Wehrpflicht weiterhin ausgesetzt und war auch bis zu ihrem vorläufigen Ende mehr Schnupperkurs und Rekrutierungspool, als ein Instrument der Landesverteidigung. Ihr wohl größter Nachteil für die sich modern gebende Truppe: Frauen konnten so nicht rekrutiert werden, weil einzig Männer gemustert wurden. Jetzt ist das anders.

Einnahmequelle Patriotismus

Am Rande des Pressetermins ist zu vernehmen, die älteste Bewerberin sei eine 53-jährige Frau, die »ihrem Land etwas zurückgeben will«. Die 16 Rekruten, sogenannte »Schützen«, die sich bei strahlendem Sonnenschein in der Julius-Leber-Kaserne von den Pressevertreter*innen auf die Finger schauen lassen müssen, entsprechen der Klientel, in der die Bundeswehr auch zu Wehrpflichtzeiten warb.

Die einzige Frau im coronabedingt nur mit 16 Menschen besetzten Ausbildungsdurchgang hat zivilberuflich Modedesignerin gelernt und will »sich orientieren«. Einer ihrer neuen Kameraden war zunächst bei der Polizei, will jetzt die Bundeswehr kennenlernen und es käme- sollte die Armee nichts für ihn sein - auch der Beruf des Lokführers für ihn infrage. Ein gelernter Zerspanungsmechaniker steht direkt neben dem Studenten und komplettiert die bunte Flecktarntruppe.

»Es gab schon immer irgendwie so eine Faszination für die Bundeswehr«, äußert ein weiterer Rekrut recht unsicher in die Kamera eines Fernsehsenders und wirkt enttäuscht, als die Nachwuchsredakteurin ihm auf seine Frage nach dem Sendetermin mitteilt, dass das Material wahrscheinlich auch erst mal im Archiv landen könnte. Ihr mitgereister Redakteur hat das Interview mit dem General bereits im Kasten.

Vor einem Gefechtsfahrzeug »Dingo«, das außer zu Dekorationszwecken keine Aufgabe in der Ausbildung erfüllt, gibt der TV-Redakteur dem General reichlich Gelegenheit, den Dienst zu bewerben. Autobahnkreuze und andere Infrastruktur müsse gesichert und verteidigt werden, »damit die Nato-Kräfte ordentlich marschieren können«, umreißt General Henne, der aus der Panzertruppe stammt, selbstbewusst die Aufgaben der neuen Rekrut*innen.

Henne sieht »eine latente Bedrohung für unsere Ostflanke« und muss dann aber einräumen, dass er keineswegs eine Kampftruppe kommandieren wird, sondern dass die neuen Soldat*innen eher die Kasernen bewachen, wenn der Rest der Armee dann an der »Ostflanke« zum Einsatz käme. Dass sein neuer Dienst eher für Rekrutierungszwecke gedacht sein könnte, will der General »nicht ganz von der Hand weisen«, aber generell sei es ein Angebot, »sich regional für die Heimat zu engagieren«.

Im jetzigen Durchgang seien sowohl Studenten vertreten, die frisch nach dem Studium nach Orientierung suchten, aber auch der 35-jährige Feuerwehrmann, der sein Leben neu organisieren wolle. »Viele sagen ›Mensch, ich will mir einfach mal Berlin angucken!‹ und kommen dann zur Grundausbildung hierher«, so der General.

Dass der neue Dienst zur Attraktion für Rechtsradikale werden könne, die sich, wie schon zu Zeiten der Wehrpflicht von NSU-Rechtsterrorist Uwe Mundlos an Waffen ausbilden lassen wollen, sollen die Sicherheitsüberprüfungen verhindern. »Wer einen radikalen Hintergrund hat, der wird dann sofort entlassen«, so der General optimistisch.

Kaum ist das Gespräch vorbei, zückt der Redakteur seine Visitenkarte, die er später noch weiteren hochrangig wirkenden Militärs anbietet, nicht ohne zu fragen, ob es denn mal möglich sei, einen Dienstgrad zu erhalten und an einer »VIP-Wehrübung« teilzunehmen.

Im Pausengespräch plaudern dann acht der neuen Staatsbürger*innen in Uniform mit dem »nd«. War Berlin früher noch der Hort der Wehrdienstverweigerer, kommen zwei der Nachwuchskasernenbewacher aus den nur 15 Minuten entfernten Kiezen. Auf die Fragen, wie viele von ihnen bereits jetzt überlegen, sich in der Bundeswehr längerfristig zu verpflichten, bekundet die Hälfte ihr Interesse.

Das Bedürfnis nach »persönlicher Weiterentwicklung« sowie »Disziplin und Ordnung« habe sie zur Bundeswehr gebracht. Nur vier der acht haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Auch die Modedesignerin habe noch keinen Plan, was sie nach den sieben Monaten ihrer aktiven Bundeswehrzeit machen wolle. »Die Zukunft ist noch offen, komplett«, so die junge Frau.

Als das Gespräch auf Auslandseinsätze kommt, greift ein Vorgesetzter ein und versucht zunächst, die Frage abzuräumen, weil die neuen Rekruten ja nur für den Inlandsdienst vorgesehen seien. Die neuen Soldaten wollen trotzdem antworten. Doch auch diejenigen, die kurz zuvor noch Interesse an einer längerfristigen Laufbahn gezeigt hatten, drucksen nun herum, denn das sei »ja doch schwer zu sagen«. Der Zerspanungsmechaniker meint, er möchte »mehr von der Welt sehen, auch nicht nur die schönen Seiten«.

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