Tschüss - und danke für nichts

Mit Schalke 04 steigt ein großer Verein in die zweite Liga ab. Etwas besseres könnte ihm gar nicht passieren

Wissen Sie noch, welche beiden Vereine in der vergangenen Saison abgestiegen sind? Es waren Düsseldorf und Paderborn. Dass man das so schnell vergessen kann, liegt vielleicht daran, dass sich viele Menschen besonders gut an Abstiege erinnern, wenn es einen der ganz Großen trifft. So wie 2018, als es den HSV und den VfB Stuttgart erwischte.

Der Absteiger des Jahres 2021 wird wohl fast allen in Erinnerung bleiben, die sich für Fußball interessieren. Denn es wird Schalke 04 treffen. Obwohl das jetzt schon wirklich sehr lange feststeht (manche sagen: seit dem ersten Spieltag), merkt man dieser Tage, dass vielen die Tragweite gerade erst bewusst wird. Der »Spiegel« berichtete aus Gelsenkirchen, in der »ZEIT« schrieb der Schalke-Fan Stefan Willeke ein Dossier zum Niedergang seines Lieblingsvereines, das definitiv zum besten gehört, was je über Fußball geschrieben wurde: Immer dann, wenn mal wieder die komplette Führungsriege vergaß, was dieser Verein seinen Fans bedeutet, immer dann drehte sich der Schraubstock weiter. Zum Schaden von Magath und Co. war das gewiss nicht. Zum Schaden von Schalke aber durchaus. Dass Willeke selbst, in dessen Hamburger Büro ein Poster der Schalke-Ikone Klaus Fischer hängt, der Niedergang an die Nieren geht, merkt man in jeder zweiten Zeile. Dass Fan-Sein bei manchen Menschen die analytische Schärfe sogar verstärkt, merkt man an jeder einzelnen. »The more you suffer the more it shows you really care«, sangen »The Offspring« mal. Auf Schalke leiden gerade Zehntausende. Felix Magath ist längst weitergezogen, gerade wurde er in Würzburg abgesägt.

Sonntagsschuss
Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Nicht nur in dessen Schalker Zeit wurden ohne Sinn und Verstand die Millionen aus dem Fenster geworfen. Geliehen (und gut verzinst zurückgezahlt) von Clemens Tönnies, einem Mann, der der Achtziger-Jahre-Komödie »Kir Royal« entsprungen sein könnte, wenn er für die Münchner High Society nicht zu uncharismatisch und präpotent wirken würde. Ihm wurde in den Gremien gehuldigt, wer Widerworte gab oder kritische Fragen stellte, geriet auf den Index. 250 Millionen Euro Verbindlichkeiten soll Schalke mit sich herumschleppen, es gibt Spieler mit alten Verträgen, die auch in der kommenden Zweitligasaison weiterbeschäftigt werden müssen. Einer von ihnen verdient dann sechs Millionen Euro im Jahr. Bei Greuther Fürth, das gute Chancen hat, in die erste Liga aufzusteigen, verdient der ganze Kader zusammengerechnet nicht diese Summe. Als der große Blender Tönnies weg war, fiel der Blick auf einen riesigen Scherbenhaufen.

Dass die Ära von Tönnies und seinen Claqueuren beendet ist, ist einzig und allein das Verdienst kritischer Fans. Und mit denen verhält es sich bei Schalke genau umgekehrt wie bei allen anderen Parametern. Während die Mannschaft, das Management und die Außendarstellung jedem Ligavergleich spotten, hat Schalke im Vergleich zu vielen anderen Klubs auffallend viele kritische, engagierte und intellektuell bestens ausgestattete Fans in seinen Reihen. Sie haben die Großdemo vom Juni vergangenen Jahres organisiert, an der über 1000 Fans den Sturz des Fleischmoguls forderten, der durch rassistische Äußerungen und skandalöse Arbeitsbedingungen in seinen Betrieben in die Schlagzeilen geraten war. Sie haben dafür gesorgt, dass doch hin und wieder mal ein kritischer Geist in den Aufsichtsrat gewählt wurde. Menschen, die im Kontrollgremium kontrollieren wollten, und damit im Kreise derer, die sich über ihre VIP-Tickets freuten, als Nestbeschmutzer galten.

Umso merkwürdiger, dass in manchen Texten heute so getan wird, als ob mehr vom Falschen nun plötzlich das Heilmittel sein könnte: Eine Ausgliederung der Profiabteilung beispielsweise, eine weitere Öffnung für Investoren, die Mitsprache im operativen Geschäft einfordern. Es sind Forderungen, die ausblenden, dass Schalke nicht an zu viel Demokratie gescheitert ist. Sondern daran, dass jahrzehntelang zu wenig Demokratie herrschte.

Vielleicht ist der Abstieg ja auch genau das, was Schalke jetzt gebraucht hat. Alle, die es ernst meinen mit dem Verein, werden auch in der Zweiten Liga gegen Darmstadt und Heidenheim kommen. Und um die anderen ist es nicht schade.

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