Streik beim Immobilienhai

Gewerkschafter der IG Metall protestieren mit Autokorso gegen Entlassungspläne

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Frankierbetrieb Francotyp-Postalia soll umgekrempelt werden – die Beschäftigten wehren sich gemeinsam mit der IG Metall.
Der Frankierbetrieb Francotyp-Postalia soll umgekrempelt werden – die Beschäftigten wehren sich gemeinsam mit der IG Metall.

Es war ein filmreifer Auftritt. Knapp 80 Gewerkschafter*innen umringten am Mittwochmittag den Eingang des Diana-Park-Bürogebäudes an der August-Bebel-Straße 68 in Potsdam-Babelsberg - direkt gegenüber den Filmstudios Babelsberg. Die Berliner Arbeiter*innen waren mit einem Autokorso von ihrem Firmensitz an der Prenzlauer Promenade um 10 Uhr aufgebrochen, um quer durch Berlin in den Speckgürtel der Hauptstadt zu fahren. Hier befindet sich der Immobilien-Firmensitz von Rolf Elgeti, der im Leben der Beschäftigten derzeit eine unrühmliche Rolle spielt.

Während hinter den Toren des berühmten Filmparks noch 2021 der vierte Teil der Science-Fiction-Filmreihe »Matrix« gedreht werden soll, geht es auf der anderen Straßenseite um die bittere Realität, der zurzeit zahlreiche Berliner Beschäftigte von Francotyp-Postalia und FP Inovolabs entgegenblicken. Das FP abgekürzte, fast 100 Jahre alte Unternehmen, produziert Frankier- und Kuvertiermaschinen, mit denen Firmen ihre Post individuell verschickungsfähig machen können, aber auch Luftreiniger und Aktenvernichter. Mindestens 50 von etwa 1000 Mitarbeiter*innen sollen, geht es nach dem neuen Vorstand, demnächst ihre Arbeitsplätze verlieren. Eine Maßnahme, die aus Sicht der Beschäftigten auf Elgeti zurückgeht. Elgeti, auch bekannt als Großinvestor beim Fußball-Drittligisten Hansa Rostock, erwarb im vergangenen Jahr mit seiner Investmentfirma Obotritia Capital 28,01 Prozent der Firmenaktien von Francotyp-Postalia. Er ist damit größter Aktionär und übt seitdem erheblichen Einfluss auf die Unternehmensstruktur aus. So entzog er auf der Hauptversammlung der Aktionär*innen im November 2020 dem bisherigen Vorstand das Vertrauen und hievte mit Hilfe des zweiten Großaktionärs einen neuen ins Amt.

Die neue Firmenspitze fordert nun, dass die Beschäftigten ihre arbeitsrechtlich geschützten Arbeitsplätze aufgeben und sich auf Stellen in anderen FP-Firmen bewerben sollen. Übriggebliebene will das Management entlassen.

Die Beschäftigten haben in den vergangenen Jahren schon einiges mitgemacht. So zog der Firmensitz im Jahr 2009 angesichts der Wirtschaftskrise vom Westteil Berlins ins brandenburgische Birkenwerder. Die Wochenarbeitszeit stieg damit von 35 auf 38 Stunden. Das ist ein Punkt, um den die IG Metall der Region parallel zum Arbeitskampf an diesem Mittwoch mit den Arbeitgeberverbänden ringt: die Angleichung der seit 30 Jahren ungleichen Arbeitszeiten in Ost und West. Im Fall von Francotyp-Postalia geht es allerdings unmittelbar um die Existenz. »Was wir gerade erleben, ist eine bodenlose Frechheit«, sagt Katrin Reisinger zu »nd«. Die hochgewachsene Frau mit den kurzen, weißen Haaren und einem IG-Metall-Käppi auf dem Kopf arbeitet seit 28 Jahren bei Francotyp-Postalia. Die 53-Jährige ist empört, erklärt aber in ruhigen Sätzen ihre Sicht auf die drohende Entwicklung. Der neue Vorstand habe offensichtlich keine Ahnung von den Aufgaben des Betriebs. »Wir sind alle Spezialisten, da kann man nicht einfach kommen und sagen: Das macht jetzt wer anders«, sagt die Gewerkschafterin. »Ohne uns funktioniert das ganze System nicht mehr«, ist sich die Entwicklerin sicher.

Währenddessen flattern die roten Fahnen der IG Metall im Frühlingswind unter abwechselnd strahlend blauem oder von Regenwolken bedecktem Himmel. Thomas Weber, der zuständige Gewerkschaftssekretär, tritt auf das aufgebaute Podest. Was unter dem Stichwort Restrukturierung als Entwicklung für den Betrieb angekündigt wurde, sei eine Spekulation mit den Arbeitsplätzen der Beschäftigten, sagt Weber. »Das können wir nicht akzeptieren.«

Elgeti agiere mit den Beschäftigten ähnlich wie mit seinen Immobilien, heißt es in einer Erklärung der Gewerkschaft: »Kaufen, zerschlagen, abstoßen, entlassen«. Industriearbeitsplätze seien aber kein »Immobiliengrund in B-Lage«. Dahinter stünden Menschen und Familien, die gesetzlich geschützte Rechte haben und auf ihr Einkommen angewiesen sind. »Wir adressieren klar unsere Forderung an den Großaktionär Rolf Elgeti: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr«, appelliert deshalb auch Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin.

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