Die linke Wahlmaschine

Die Justice Democrats rücken die US-Demokraten mit Vorwahlherausforderungen nach links

  • Johanna Soll, Boulder und Moritz Wichmann, Berlin
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Kampf der Justice Democrats geht in eine neue Runde, in die dritte - die Vorwahlen zu den Zwischenwahlen 2022 in den USA. Die Organisation hat sich auf Fahnen geschrieben, die US-Demokraten durch Vorwahlherausforderungen von innen heraus zu reformieren und nach links zu rücken. Nun werden neue linke Kandidat*innen vorgestellt. Die Erste ist Odessa Kelly. Sie tritt im 5. Wahlbezirk des US-Bundesstaates Tennessee an. Es ist der klassische (Wahl-)Kampf David gegen Goliath: Die linke, jüngere, schwarze und lesbische Odessa Kelly, die noch nie ein politisches Amt innehatte, gegen den älteren, weißen Establishment-Politiker, den 66-jährigen Amtsinhaber Jim Cooper.

Der sitzt bereits seit zehn Legislaturperioden für Tennessee im US-Kongress. Bei der Vorwahl 2020 hatte die progressive Kandidatin Keeda Hayes ohne die Unterstützung landesweit tätiger Gruppen einen Achtungserfolg erzielt. Sie verlor mit »nur« 17,4 Prozentpunkten Rückstand gegen Cooper, erreichte immerhin rund 40 Prozent der Stimmen - und zeigte, dass es Appetit für Wandel vor Ort gibt.

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Der Wahlbezirk umfasst unter anderem die knapp 680 000-Einwohner-Stadt Nashville, Hauptstadt von Tennessee und Heimatort von Kelly. Die 39-Jährige hat einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre und einen Master in öffentlicher Verwaltung. Derzeit ist sie Geschäftsführerin von Stand Up Nashville, einer gemeinnützigen Organisation von lokalen Kräften einschließlich von Gewerkschaften, die sich zusammengeschlossen haben, um die Lebensqualität der Menschen in Nashville zu verbessern. Kelly wurde für ihr Engagement bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

»Ich habe Kinder in dieser Stadt aufgewachsen sehen und habe ihre Angst gespürt, als wir nicht wussten, was als Nächstes kommen wird«, sagt Kelly in einer Erklärung. »Wir brauchen mehr Wege aus der Armut, der Status quo ist nicht mehr gut genug. Ich weiß, wie man Koalitionen bildet, die Ergebnisse erzielen, und ich kandidiere für den Kongress, damit wir auf nationaler Ebene mutige, ambitionierte Veränderungen vornehmen können.« Mit ihrer bisherigen beruflichen Karriere und ihrer politischen Einstellung passt Odessa Kelly bestens zu den Justice Democrats.

Diese sind als politisches Aktionskomitee (PAC) organisiert, das 2017 von linken Aktivist*innen gegründet wurde. Befeuert durch den Achtungserfolg, den der progressive US-Senator Bernie Sanders bei den Präsidentschaftsvorwahlen 2016 gegen Establishment-Kandidatin Hillary Clinton erzielte, wollen die Justice Democrats mehr Kandidat*innen zu einem Amt in Kongress verhelfen, die politisch auf einer Linie mit Sanders sind: Nämlich um einiges weiter links, als das Parteiestablishment der Demokraten.

In einer Erklärung sagt die Justice-Democrats-Geschäftsführerin Alexandra Rojas: »Unsere Graswurzelbewegung hat das Land in zwei Wahlperioden schockiert und wir sind bereit, es erneut zu tun.« Es sei »an der Zeit, eine neue Generation progressiver Führung in der Demokratischen Partei zu etablieren«, so die 26-Jährige.

»Schockiert« haben die Justice Democrats das Land in den vergangenen zwei Legislaturperioden tatsächlich: Da wäre zum einen der Vorwahlsieg von Alexandria Ocasio-Cortez, kurz AOC, die sich 2018 in den Vorwahlen der Demokraten in New York gegen den mächtigen Amtsinhaber Joe Crowley durchsetzte. 2020 schafften es dann gleich drei von den Justice Democrats unterstützte progressive Kandidat*innen die Vorwahl in ihrem Wahlkreis zu gewinnen und zogen anschließend in das Repräsentantenhaus ein: Jamaal Bowman, Cori Bush und Marie Newman.

Die Strategie der Justice Democrats: Aktivistische Kandidaten bei den Vorwahlen der Demokraten aufstellen, die linke politische Kernforderungen unterstützen und keine Wahlspenden von Lobbyisten annehmen. Vorwahlgegner*innen sind Amtsinhaber*innen, die eher konservative Positionen vertreten - oder nicht ausreichend progressiv sind - und somit sozialdemokratischen Reformen im Wege stehen. Geeignete Wahlbezirke sind solche, die fest in demokratischer Hand sind, bei denen klar ist, dass bei der Parlamentswahl der entsprechende Sitz im Kongress mit großer Mehrheit an die Demokraten geht.

Allerdings haben die Justice Democrats nicht nur Erfolge vorzuweisen. Von den 65 Herausforderer-Kandidat*innen, die sie bei den Zwischenwahlen 2018 unterstützten, schaffte es nur vier Neuparlamentarier*innen in den Kongress. Alexandria Ocasio-Cortez aus New York, Ilhan Omar aus Minnesota, Rashida Tlaib aus Chicago und Ayanna Pressely aus Massachusetts - die vier linken Frauen wurden in der Folge als »Squad« bekannt und zu Medienstars. Weil Amtsinhaber in Nicht-Wechselwählerwahlkreisen und in der Regel jedoch ein Mandat auf Lebenszeit sicher haben, wurden sie in früheren Jahren in den Vorwahlen oft gar nicht herausgefordert. Heutzutage werden sie zwar öfters herausgefordert, aber in der Regel nicht erfolgreich. Deswegen war es ein beachtlicher Erfolg, dass eine noch junge politische Organisation 2020 im zweiten Anlauf erneut drei Kandidat*innen - von nur noch 15 unterstützten - gegen das Establishment durchsetzen konnte. Die Justice Democrats hatten nach übermütigem Start 2018 ihre Taktik für 2020 angepasst, konzentrierten begrenzte Ressourcen auf weniger Wahlkämpfe.

Doch auch wenn sie an der Vorwahlurne nicht erfolgreich waren, die Kandidat*innen der Justice Democrats und des linken Parteiflügels sorgten mit ihrer Kandidatur oft dafür, dass Amtsinhaber*innen leicht nach links rücken - und damit langfristig auch die Partei. Denn auch andere Abgeordnete aus Wahlkreisen, die Demokraten-Hochburgen sind und wo kein Justice Democrat antritt, müssen für die Zukunft vor allem eine Vorwahl-Herausforderung fürchten.

Bei den Altvorderen der Demokraten sind die Justice Democrats unbeliebt, werden als Nestbeschmutzer angesehen. Die US-Mainstream-Medien haben die Justice Democrats und ihre Kandidat*innen anfangs kaum beachtet. Dies änderte sich nach dem Wahlsieg von Ocasio-Cortez. Die Wahlerfolge von Jamaal Bowman, Cori Bush und Marie Newman haben 2020 gezeigt, dass die Wahl von »AOC« keine Ausnahmeerscheinung ist - langsam aber sicher erkämpfen sich linke Aktivisten mehr Einfluss in der Partei und in der Öffentlichkeit.

Nicht nur in linken US-Medien und Lokalmedien, sondern auch in US-Leitmedien wie »Washington Post«, CNN, MSNBC und Politic wurde über Odessa Kellys Kandidatur berichtet. Mittlerweile haben die Justice Democrats erneut öffentlichkeitswirksam ihre Unterstützung für eine zweite linke Vorwahlherausforderin verkündet - Rana Abdelhamid, die in einem Wahlkreis in New York City gegen eine weiße Demokratin antritt.

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Auch die linke Demokratin und Bernie Sanders-Verbündete Nina Turner unterstützt man. In den nächsten Monaten werden weitere »Justice Democrats« dazukommen, wird die linke Organisation weitere progressive Herausforder*innen ins nationale Rampenlicht bringen. Denn: Ein entscheidender Faktor im Wahlkampf in den USA ist der Bekanntheitsgrad von Kandidat*innen. Wenn über Kelly und Abdelhamid auch in großen, nationalen Medien geschrieben wird, steigt deren Bekanntheitsgrad und damit auch die Chance auf einen Vorwahlsieg.

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