Der schlechteste Vorschlag

Juristen kritisieren den Entwurf zur Grundgesetzaufnahme von Kinderrechten

Die Rechte von Kindern sollen explizit ins Grundgesetz aufgenommen werden. Das hatte das Kabinett bereits im Januar beschlossen. Allerdings ist für die Änderung des Grundgesetzes noch eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Ob diese erreicht wird, ist fraglich, denn der Gesetzesentwurf von der schwarz-roten Regierungskoalition sorgt für Kritik bei Opposition, Experten und Verbänden. Zu einem rein symbolischen Zweck das Grundgesetz zu ändern, stieß auch am Montag bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages auf Kritik der geladenen Experten.

Der Vorsitzende des Verfassungsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Thomas Mayen, kritisierte den Gesetzesentwurf beispielsweise als deutlich schwächer als die völkerrechtlich und europarechtlich verbürgten Rechte von Minderjährigen. Der Entwurf suggeriere zudem durch den Begriff der elterlichen »Erstverantwortung« einen Vorrang der Elternrechte gegenüber den Rechten der Kinder und Jugendlichen.

Auch Friederike Wapler vom Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz vertrat die Meinung, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vorliegenden Fassung nicht verabschiedet werden sollte. Er sei der schlechteste Vorschlag von allen. Er löse die selbst gesetzten Regelungsziele nicht ein, werfe mehr Fragen auf als er beantworte und bleibe hinter dem Stand der Diskussion zurück. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam am Montag Robert Seegmüller, Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs. Laut ihm sei der Regierungsentwurf zwar bemüht, die Kinderrechte sichtbar zu machen, größere inhaltliche Änderungen strebe er jedoch nicht an. Die Vorlagen der Fraktionen seien laut Seegmüller substanzieller.

Grüne, Linkspartei und FDP hatten jeweils eigene Entwürfe vorgelegt. Grüne und Linkspartei fordern beispielsweise die Aufnahme von Beteiligungsrechten von Minderjährigen, also die Berücksichtigung ihrer Ansichten. Zudem soll das Kindeswohl als »vorrangig« beachtet werden und nicht, wie im Entwurf von Union und SPD vorgesehen, nur als »angemessen«. Bei Gesetzesformulierungen geht es am Ende in der konkreten Umsetzung um die Feinheiten der Formulierung.

»Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist ein zentraler Wert einer demokratischen Gesellschaft«, sagte auch Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks während der Anhörung im Bundestag. Diese Chance dürfe nicht verspielt werden. Er forderte einen eigenen Absatz für die Kinderrechte, die unabhängig von den Elternrechten gegen den Staat gelten. »Bei der Formulierung der Kinderrechte im Grundgesetz muss es darum gehen, eine nachhaltige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention sicherzustellen. Reine Symbolpolitik bringt uns hier keinen Schritt weiter«, kritisierte er den Gesetzesentwurf. Der Gesetzesentwurf könnte laut Krüger sogar ein Türöffner zur Verschlechterung der Situation sein.

»Kinderrechte brauchen ein großes Ausrufezeichen im Grundgesetz, damit Kinder und Jugendliche gehört und ihre Belange ernst genommen werden. Die Covid-19-Krise zeigt uns deutlich, dass sie bisher zu häufig hintangestellt werden«, stellte auch Sebastian Sedlmayr, von Unicef Deutschland fest. »Dazu braucht es jedoch eine unmissverständliche und prägnante Formulierung, die nicht hinter die UN-Kinderrechtskonvention und die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurückfallen darf.« Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung sollte rasch überarbeitet werden, so Sedlmayr. Dass der Gesetzesentwurf zur Aufnahme von Kinderrechten mit seinen abgeschwächten Formulierungen laut Experten ohne Mehrwert ist und daher wahrscheinlich die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat verfehlen wird, fasst Hans-Iko Huppertz, Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) als »unwürdiges Spiel« zusammen. Die Regierung möchte sich einer unliebsamen Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag entledigen, so die DAKJ.

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