Wieder frei durchatmen

Pneumologen suchen nach Therapien für Corona-Langzeitfolgen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Passend zum Abklingen der dritten Pandemiewelle beraten in der nächsten Woche Lungenärzte auf ihrem Fachkongress unter anderem über Covid-19. Die Erkrankung betrifft primär die Lunge, und so wird es bei der Online-Veranstaltung mit aktuell 4000 bestätigten Teilnehmern auch mehr als zehn Symposien zu verschiedenen Aspekten der relativ neuen Infektion geben. Neben der Ausbreitung über Aerosole, den diagnostischen Möglichkeiten oder Fragen der Blutverdünnung bei schweren Fällen geht es in mehreren Teilveranstaltungen um Langzeitfolgen. Hierzu tauchen fast täglich Berichte über kleinere Studien und Beobachtungen an ebenfalls kleinen Patientengruppen auf.

»Lang andauernde Corona-Erkrankungen sind ein relativ frisches Phänomen«, ordnet Andreas Rembert Koczulla das Geschehen ein, bei dem man gerade einmal 15 Monate überblicke. Er ist Chefarzt am Fachzentrum für Pneumologie der Schön-Klinik Berchtesgardener Land in Prien am Chiemsee. Weil vor reichlich einem Jahr noch niemand Sars-CoV-2 kannte, werden auch jetzt erst langsam die verschiedenen Folgeverläufe bestimmten Kategorien zugeordnet.

Experten unterscheiden hier unter anderem neben der akuten (bis zu vier Wochen dauernden) und einer weiterbestehenden Covid-Erkrankung,bei der sich vier Wochen nach Beginn noch klinische Symptomatik zeigt. Das kann bis zu zwölf Wochen anhalten. Sind die Symptome danach immer noch vorhanden, wird von einem Post-Covid-Syndrom gesprochen. Das Long-Covid-Syndrom bezeichnet ebenfalls das Andauern von Symptomen ab Woche vier bis über die zwölfte Woche hinaus. Von den in Deutschland etwa 2,92 Millionen als genesen geltenden Patientinnen und Patienten haben Schätzungen zufolge etwa zehn Prozent mit Langzeitfolgen, darunter Lungenbeschwerden, zu kämpfen. Daten aus England zeigen hingegen, dass fast 14 Prozent der Erkrankten noch Long-Covid-Symptome haben. Die Folgebeschwerden können auch nach leichten Verläufen auftreten, also bei Patienten, die zuvor gar nicht im Krankenhaus behandelt wurden.

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Insgesamt seien konkrete Angaben dazu schwierig zu erheben, sagt Koczulla. Der nächste Schritt für eine Systematisierung wäre, ein Ordnungsprinzip für die Symptome festzulegen. Das ist bei der Vielzahl von Einzelbeobachtungen offensichtlich nicht leicht. So gibt es Krankheitszeichen, die auch nach der akuten Phase fortbestehen, dann weitere Symptome, die zu einer neuen gesundheitlichen Einschränkung führen, oder auch solche, die erst nach Ende der akuten Phase neu auftreten, aber als Folge von Covid-19 eingeordnet werden. Hinzu kommen außerdem Verschlechterungen von Grunderkrankungen

Zudem lassen sich die Symptome nach den betroffenen Organen ordnen und könnten dann zu sogenannten Phänotypen zusammengefasst werden. Für den Lungen-Phänotyp seien Atemnot, Husten und Schlafstörungen typisch, beim neurologischen Phänotyp Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen. Der dermatologische Phänotyp zeige Hautveränderungen sowie Haarausfall. Ein weiterer Phänotyp ist nach der Fatique benannt, andauernder Erschöpfung, die auch von anderen schweren Krankheiten wie Krebs bekannt ist. Jedoch ist die eindeutige Zuordnung der Patienten nicht immer eindeutig möglich: »Es ist häufig ein Mischbild an Phänotypen, die auftreten«, sagt Lungenarzt Koczulla. Bei der Aufnahme der Symptome seien die Patienten ernst zu nehmen. Für jeden müssten sie im Detail erhoben und entsprechend, so weit möglich, behandelt werden.

Noch einmal schwieriger ist es demnach für Langzeit-Covid eine wirksame Therapie zu finden. Über die bisherigen Behandlungsversuche fehlen ebenfalls noch Daten. Deshalb wird eine erste Leitlinie in Deutschland zunächst nur die bisherigen Erfahrungswerte zusammenfassen. Evidenz auf der Basis von anspruchsvollen Studien wird noch einige Zeit fehlen. Koczulla kann aber schon soviel sagen, dass in einer multidisziplinären und individualisierten Rehabilitation Atemprobleme wie auch Fatique und Husten zurückgingen.

Im Zusammenhang mit der Beatmung von Covid-19-Patienten kommt ein wichtiges Thema erneut auf die Tagesordnung. Dabei geht es um die Weiterbehandlung von Menschen nach dem Verlassen der Intensivstation. Hier besteht offensichtlich Regelungsbedarf: »Viele Patienten werden in die ambulante Langzeitbeatmung aus den Kliniken direkt von den Intensivstationen entlassen, ohne dass das Entwöhnungspotenzial des Patienten festgelegt wird«, berichtet Michael Pfeifer. Er ist unter anderem Medizinischer Direktor der Klinik Donaustauf, die auch ein Zentrum für Pneumologie ist. Aktuell werde aufgrund von Daten aus den spezialisierten Zentren davon ausgegangen, dass 20 bis 50 Prozent der Patienten, die außerklinisch invasiv beatmet werden, zuvor keine strukturierte Entwöhnungsbehandlung erfahren haben. Sie hätten jedoch entweder ein Potenzial dafür oder könnten ganz ohne Beatmung oder über eine nichtinvasive Beatmung mittels Maske leben. Für das Problem müssten an der Sektorengrenze zwischen ambulanter und stationärer Versorgung neue Regeln in einem aktuellen Gesetzgebungsverfahren festgelegt werden.

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