Ungeimpft in den Präsenzunterricht

Viele Bundesländer setzen wieder auf Regelbetrieb

Kinder und Jugendliche gehören zu den großen Verlierern der Coronakrise: geschlossene Kindertagesstätten und -gärten - um bei den Jüngsten anzufangen -, eine wilde inzidenzwertabhängige Mischung aus Homeschooling und Wechselunterricht, coronabedingt ausgedünnte Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, kaum Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen, wegen der Kontaktbeschränkungen fehlende Interaktion mit Gleichaltrigen auch in der Freizeit ...

Neben den psychischen und sozialen Folgen der monatelangen Einschränkungen aufgrund des Infektionsgeschehens und der rigiden Maßnahmen zu dessen Eindämmung sind es vor allem die Auswirkungen auf die Bildung, die Eltern und Experten Kopfzerbrechen bereiten. Defizite, die sich in dieser Zeit angehäuft haben, müssen ausgeglichen und gleichzeitig neuer Stoff gelernt werden - für die von der Krise belasteten Kinder und Jugendliche keine leichte Aufgabe. Die zu meistern auch ganz erheblich vom Infektionsgeschehen und dem Fortschritt der Impfkampagne abhängt.

Tatsächlich befindet sich beides auf einem guten Weg - Ersteres nach unten, Letzteres nach oben: So wies das Robert-Koch-Institut mit Stand von Montagmorgen nur noch eine Sieben-Tage-Inzidenz von 35,1 aus und bezifferte die Zahl der verabreichten Corona-Impfungen auf 49,9 Millionen. Dabei haben den Angaben zufolge mehr als 35 Millionen Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten; 14,6 Millionen sind vollständig geimpft. Entwicklungen, so sie sich nun verstetigen, die auch den Kindern und Jugendlichen das soziale Leben und vor allem das Lernen künftig wieder erleichtern.

So konnten am Montag dank der seit Wochen gesunkenen Inzidenzwerte in zahlreichen Bundesländern Kinder und Jugendliche wieder in ihre Klassenzimmer zurückkehren - zumeist in voller Stärke, und das zunächst auch ohne die viel diskutierten Impfungen. So in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, im Saarland oder in Hamburg. Brandenburg ging diesen Schritt zunächst nur bei den Grundschulen, doch sollen dort die weiterführenden Schulen in einer Woche folgen.

Auch in Sachsen-Anhalt ist seit Montag wieder an allen Schulen der Regelbetrieb möglich; in dieser Woche entscheiden aber noch die Schulleitungen, ob tatsächlich alle Kinder gemeinsam in die Klassenräume zurückkehren. Bei entsprechend niedrigen Inzidenzzahlen soll es in der kommenden Woche dann wieder an allen Schulen Präsenzunterricht geben. In Mecklenburg-Vorpommern waren die Schüler*innen bereits am vergangenen Donnerstag zurückgekehrt. Berlin hingegen will noch bis zu den Sommerferien am Wechselunterricht festhalten. In Bayern und Baden-Württemberg sind noch Pfingstferien.

Erledigt hat sich damit die Diskussion um mögliche Impfungen für die Altersgruppe zwischen 12 und 16 aber keineswegs. So sprach sich der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Montag für die vollständige Wiederaufnahme des Regelunterrichts in den Schulen aus. Dies sei möglich, wenn auch im Präsenzunterricht regelmäßig getestet werde - das habe bislang gut funktioniert, erklärte er gegenüber Welt-TV. Zugleich wies er aber darauf hin, dass nach seiner Ansicht eine Impfung der Kinder und Jugendlichen nötig sei, »wenn wir den Präsenzunterricht im Herbst stattfinden lassen ohne Masken und Abstände«.

Auf die besondere Situation von Betroffenen mit Vorerkrankungen machte angesichts der Rückkehr in die Klassenzimmer der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Dario Schramm, aufmerksam. Im Interview mit dem Sender Phoenix forderte er, dass vor allem solche Schüler*innen bei der Vergabe des Biontech-Impfstoffs - dem in der Europäischen Union bisher einzigen zugelassenen Vakzin für 12- bis 15-Jährige - Vorrang haben. »Die wollen jetzt auch in die Schulen, haben aber Angst davor, sich selbst zu infizieren und sich selbst in Gefahr zu bringen«, so Schramm. Daher müsse klar sein, dass der Biontech-Impfstoff »prioritär an diese Menschen« gehe.

Norbert Müller, kinder- und jugendpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, macht auf weitere Probleme aufmerksam. So sei die Zulassung eines ersten Impfstoffes für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren durch die EMA ein wichtiger erster Schritt, der eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) jedoch »nicht überflüssig« mache. Zudem schade hier »der Aktionismus« von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eher, »als dass er hilft«, so Müller gegenüber »nd«. Auch löse die Zulassung »die zentralen Probleme beim Impfen nicht« auf. »Nach wie vor steht zu wenig Impfstoff zur Verfügung. Immer noch sind nicht alle Angehörigen von Risikogruppen durchgeimpft. Hier müssen Bund und Länder schleunigst Abhilfe schaffen.« Danach müsse es »dann auch zügig um die Impfung von Schüler*innen« gehen: »Ziel muss es sein, allen Jugendlichen bis zum Ende der Sommerferien ein Impfangebot machen zu können - vorausgesetzt, es kommt zu einer Empfehlung durch die Stiko.«

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