In Ablehnung der Demokratie geeint

In Sachsen-Anhalt befürchten viele Menschen nach den Landtagswahlen eine Kooperation von CDU und AfD - lokal findet diese dabei längst statt

  • Sebastian Bähr und Peter Nowak
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Gruppe, die sich in Kabelsketal in Sachsen-Anhalt zum Verein »Wildraum« zusammengeschlossen hatte, arbeitete an ambitionierten Plänen: Ein fast 6000 Quadratmeter großes Gelände wollte man in der Gemeinde mit ihren fast 9000 Bewohnern ökologisch bewirtschaften. Im lokalen Altersheim wollte man Musiknachmittage anbieten, zusätzlich auch Zirkus- und Bastelprogramme für Kinder und Jugendliche. Für Interessierte sollte der Ort offen sein. Bauwägen - vergleichbar mit Lauben im Kleingartenverein - waren als Rückzugsraum für die aktiven Mitglieder geplant.

Doch aus alldem wird wohl nichts. Eine von den Vereinsmitgliedern benötigte Änderung des Flächennutzungsplans will der Gemeinderat Anfang Juni ablehnen. Die Fraktionen von CDU, FDP, Pro Kabelsketal und der Unabhängigen Wähler haben sich dafür mit der AfD zusammengetan und eine gemeinsame Beschlussvorlage eingereicht. Von der plötzlichen Ablehnung waren die Vereinsmitglieder überrascht. Gegenüber »nd« betonten sie, dass sie immer wieder Gespräche mit dem Gemeinderat geführt und dort ihre Kooperationsbereitschaft betont hatten. Dem sozialen und ökologischen Vorzeigeprojekt droht damit das Aus.

Die Kooperation von bürgerlich-konservativen und Rechtsaußenkräften ist in Sachsen-Anhalt auf lokaler Ebene längst Realität. Mit Blick auf die Landtagswahl am Wochenende fürchten jedoch viele Menschen, dass sich diese Zusammenarbeit nun auch im Parlament in Magdeburg ganz offiziell verfestigen könnte. Droht ein neuer »Tabubruch« nach der Thüringer Regierungskrise vom Frühjahr 2020? Weit hergeholt scheinen diese Befürchtungen nicht. Wenige Tage vor der Wahl zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD ab. In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey kommt die CDU auf 29 und die AfD auf 28 Prozent. Eine Fortführung der bisherigen Kenia-Koalition könnte den Umfragen zufolge knapp werden, auch die anderen demokratischen Koalitionsoptionen wirken rechnerisch und politisch prekär.

CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff erklärte in dieser Situation zwar wiederholt, keine Koalition mit der AfD anzustreben - doch was sind seine Worte wert? Relevante Teile der CDU-Basis im Land streben nach einer Zusammenarbeit mit Rechtsaußen, 2017 stimmten neben der AfD-Fraktion weite Teile der CDU-Fraktion für die Bildung einer Enquete-Kommission zur »Untersuchung von Linksextremismus«, 2019 forderten zwei Vize-Fraktionschefs der CDU in einem Thesenpapier, eine Kooperation mit der AfD nicht auszuschließen und »das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen«. Der Einfluss der CDU-Spitze auf das Geschehen des Landesverbandes ist offensichtlich geschwächt, die Machtverhältnisse könnten schnell kippen. »Die FDP in Sachsen-Anhalt scheint mir einen eindeutigen Trennungsstrich zu ziehen, aber die CDU hat immer wieder ihre Offenheit für die extrem rechte AfD gezeigt«, sagt die Linke-Landtagsabgeordnete Henriette Quade dem »nd«. »Ich halte es für möglich, dass nach der Wahl jene den Ton angeben, die eine Tolerierung durch die AfD vorziehen«, so die Politikerin.

Die kritische Zivilgesellschaft weiß um die gefährliche Situation. »Die AfD Sachsen-Anhalt hat sich ein Wahlprogramm gegeben, das sich an der ideologischen Agenda des offiziell für aufgelöst erklärten ›Flügels‹ orientiert«, hießt es in einer Analyse des Vereins Miteinander aus Sachsen-Anhalt. Damit positioniere sich der AfD-Landesverband »politisch deutlich in der extremen Rechten« und werde wohl auch in den kommenden Jahren als ihr parlamentarischer Arm agieren. »Unabhängig von der Regierungskonstellation wird die AfD weiterhin alles daran setzen, jene, die vermeintlich oder tatsächlich gegen sie stehen, in Misskredit zu bringen, zu diffamieren und in ihrer Existenz zu bedrohen«, sagt Quade. Darauf müssten sich alle einstellen - die, die davon betroffen sind, aber auch alle demokratischen Parteien.

Antifaschisten stellen sich bereits auf ein bitteres Ergebnis am Wochenende ein. Die Hallenser Ortsgruppe der linksradikalen Interventionistischen Linken erklärte jüngst: »Die Wahl wird katastrophal.« Rund ein Viertel der Wähler werde eine »völkisch-nationalistische Partei« wählen. »Auf der anderen Seite haben wir die Kenia-Koalition, die den Mangel lediglich verwaltete.« Die Aktivisten rufen für Sonntagabend zu einer Demonstration am Rannischer Platz auf.

Die antifaschistische, bundesweite Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« (NIKA) hat ebenfalls erhebliche Zweifel an den Versicherungen der bürgerlichen Parteien. »Die angebliche ›Brandmauer gegen rechts‹ bei Union und FDP hat mehr Löcher als ein Schweizer Käse«, sagt Sprecherin Caro, die ihren Nachnamen nicht nennen will, dem »nd«. Der Umgang der CDU-Parteiführung mit der Werteunion sowie das Abstimmungsverhalten der Liberalen in den Parlamenten habe für die Antifaschisten eine »deutliche Sprache« gesprochen. Man könne auch nicht von einem Lerneffekt seit dem Dammbruch von Erfurt im vergangenen Jahr sprechen. »Die Parteien der sogenannten Mitte haben gesehen, dass der Preis für eine Kooperation mit der AfD hoch ist - die Distanz, die seitdem zur AfD gewahrt wird, ist aber nicht Ausdruck politischer Einsicht, sondern eine Kosten-Nutzen-Rechnung«, so NIKA. Antifaschisten könnten jedoch - das hätten die bundesweiten Proteste im vergangenen Jahr nach der Ministerpräsidentenwahl von Thomas Kemmerich (FDP) gezeigt - diesen Preis in die Höhe treiben.

Aus Sicht der Linken-Abgeordneten Henriette Quade brauche es unbedingt Veränderungen im Land, um die extreme Rechte nachhaltig und langfristig zurückzudrängen. »Nötig wäre die Stärkung der kritischen Zivilgesellschaft anstatt ihrer Drangsalierung mit einem angeblichen Neutralitätsgebot und Extremismusunsinn«, sagt die Politikerin. Dazu sei ein »Ende der Normalisierung« extrem rechter Positionen nötig, ein »Ende der Übernahme ihrer Erzählungen«, der »konsequente Ausschluss« aus dem demokratischen Diskurs - und entschlossenes Handeln statt Lippenbekenntnisse.

Drei junge Politiker, eine Musikerin und der Osten: Robert Fietzke, Katharina Zacharias, Philipp Rubach und Nina Kummer diskutieren über ihre »unruhevolle ostdeutsche Jugend«, die Sexyness von Parteien und AfD-Erstwähler.

All dies funktioniert zumindest in der Gemeinde Kabelsketal in Sachsen-Anhalt nicht. »Bisher wurde uns noch kein Grund genannt, warum gegen uns gestimmt wurde und warum wir unser Vorhaben auf dem für diese Zwecke ideal geeigneten Grundstück nicht realisieren können«, erklärte Sina Peters vom Verein »Wildraum«. Selbst die oberste Landesentwicklungsbehörde habe der Gründungsgruppe bestätigt, dass einer baurechtlichen Umnutzung nichts entgegen stünde. Für Peters macht diese Verhinderungsmehrheit in der Gemeinde deutlich, dass allem Gerede über Brandmauern gegen die AfD zum Trotz die CDU längst mit Rechtsaußen kooperiert. In der Ablehnung von Orten demokratischer Kultur, wie sie der Verein in Kabelsketal geplant hat, sind sich die Parteien der sogenannten Mitte mit der AfD einig.

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