Kompromiss mit dem Klassenfeind

Am 7. Juni 1951 trat in der Bundesrepublik das Montan-Mitbestimmungsgesetz in Kraft

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Robert Schuman, ein französischer Staatsmann mit deutschen Wurzeln, schlug bereits fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Vereinigung der deutschen und französischen Schwerindustrie in der »Montanunion« vor. Wirtschaftlich ergab die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) durchaus Sinn. Die Kohle in Westdeutschland bildete so eine, wie man heute sagen würde, vertikale Lieferkette mit den Erzen in Frankreich. Im Laufe der 1950er-Jahre verlor die Montanunion jedoch an Bedeutung. Öl und Erdgas nahmen die Rolle der Kohle als Energieträger ein. »Damit das europäische Projekt nicht mit der Kohle an Wirkung und Bindekraft verlor«, analysiert der Heidelberger Politikwissenschaftler Eckart Stratenschulte heutzutage, »wurde die zuvor auf die Schwerindustrie beschränkte Integration auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet«.

Gleiches gelang der Arbeiterbewegung zunächst nicht. Diese hatte sofort nach Kriegsende im Sommer 1945 in den Westsektoren verhindert, dass der Alliierte Kontrollrat die Schwerindustrie demontieren ließ. Der frühere Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Dieter Schulte, erinnert an die Geschichte: »Es waren deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich teilweise auf die Maschinen gesetzt haben, um das zu verhindern. Und die haben gesagt: Das eine haben wir verhindert, jetzt wollen wir auch über das, wie es weitergeht, mitbestimmen.«

Besonders galt dies in den damaligen Schlüsselindustrien von Kohle und Stahl. Hier hatte die britische Militärregierung 1947 den Gewerkschaften ein Mitbestimmungsrecht zugestanden. Die Alliierten wollten auf diese Weise verhindern, dass sich in den einstigen Waffenschmieden wieder die alten Machtstrukturen durchsetzten. In die Aufsichtsräte zogen neben fünf Vertretern der Anteilseigner fünf Lohnabhängige ein. Ein »elfter Mann« wurde als »Neutraler« von beiden Seiten hinzugewählt.

»Wirtschaftsdemokratie« hieß das Motto der Zeit. Und doch war es innerhalb der Gewerkschaften umstritten. »Im Kern drehen sich die inhaltlichen Auseinandersetzungen letztlich immer um die Frage, ob eine auf Sozialpartnerschaft mit den Unternehmern oder auf eine selbstständige und konsequente Vertretung der Interessen der arbeitenden Bevölkerung gerichtete Politik die richtige und auf Dauer erfolgversprechende ist«, schrieb einer der führenden Köpfe der Gewerkschaftsbewegung, Leonhard Mahlein, der von 1921 bis 1985 lebte, in seinen Memoiren.

Eine gesetzliche Grundlage erhielt die Mitbestimmung in Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie vor 70 Jahren. Am 7. Juni 1951 trat das Montan-Mitbestimmungsgesetz in Kraft. Die Gewerkschaften IG Metall und IG Bergbau wollten zuvor Mitbestimmung auch jenseits der Schwerindustrie haben und drohten mit großen Streiks. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) schaltete sich in die Verhandlungen ein. Heraus kam der bundesrepublikanische Klassenkompromiss in Form des Montan-Mitbestimmungsgesetzes.

Das zweite wichtige Element der Montan-Mitbestimmung neben der Parität im Aufsichtsrat wurde der Arbeitsdirektor: Er gehört dem Vorstand an und ist für Personal und Soziales verantwortlich. Laut Gesetz kann der Arbeitsdirektor nicht gegen die Stimme der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat berufen werden. »In der Praxis«, so die IG Metall, »wird der Arbeitsdirektor von der IG Metall vorgeschlagen und genießt daher das besondere Vertrauen der Arbeitnehmervertreter.«

Die Mitbestimmung außerhalb der Montanindustrie regelt seit 1952 das Betriebsverfassungsgesetz. Allerdings gab es den Beschäftigten weitaus weniger Einflussmöglichkeiten als das Montan-Mitbestimmungsgesetz. Als Willy Brandt 1969 als erster Sozialdemokrat Bundeskanzler wurde, galt sein Motto »Mehr Demokratie wagen« auch für die Wirtschaft. Das Ergebnis war das Mitbestimmungsgesetz von 1976. Es sieht für Betriebe mit mindestens 2000 Beschäftigten eine »paritätische Mitbestimmung« vor, in der Kapital und Arbeit die gleiche Anzahl an Vertretern in den Aufsichtsrat entsenden.

»Die Gewerkschaften vermissten in wichtigen Punkten gleichgewichtige und gleichberechtigte Mitbestimmung«, so der Historiker Karl Lauschke in einem Beitrag für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Der Aufsichtsratschef, der von der Kapitalseite gestellt wird, hat im Zweifelsfall jedoch doppeltes Stimmrecht. Dabei blieb es bis heute.

Die Hans-Böckler-Stiftung feiert den Geburtstag der Montanmitbestimmung diesen Montagnachmittag unter dem Motto »Mitbestimmung sichert Zukunft« online mit einer Expertenrunde. Gratulieren dürfen Repräsentanten aller demokratischer Parteien. »Die Montanbestimmung ist die einzige Mitbestimmung, die ihren Namen verdient«, ist auch der linke Ökonom Heinz-J. Bontrup in Feierlaune. Hier könne weder Kapital noch Arbeit etwas alleine entscheiden, sagte er dem »nd«. »Man muss einen Konsens finden, sonst entscheidet ein Dritter, der Neutrale, im Aufsichtsrat«, so der Wirtschaftsprofessor der Universität Siegen. Dies diszipliniere beide Seiten im Aufsichtsrat, einen Kompromiss zu finden. »Ein Diktat des Kapitals ist hier ausgeschossen. Alle anderen Mitbestimmungsgesetze ermöglichen dagegen ein solches Diktat.« In den 1990er Jahren war Bontrup, der heute Sprecher der Arbeitsgruppe alternative Wirtschaftspolitik ist, Arbeitsdirektor bei einer Thyssen-Tochter.

»Leider gilt das Montanmitbestimmungsgesetz aber nur noch für gut 80 000 von rund 40 Millionen abhängig Beschäftigten«, gibt Bontrup aber zu bedenken. Das Gesetz sei im Laufe der Zeit zu einer Marginalie verkümmert.

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