Die richtige Entkopplung

HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Im beginnenden Wahlkampf ist das Versprechen präsenter denn je: »Grünes« Wachstum soll alle Probleme zugleich lösen - ökologische, soziale, wirtschaftliche. Als Schlüssel gilt die sogenannte Entkopplung des Wirtschaftswachstums von Ressourcenverbrauch, Naturzerstörung und CO2-Emissionen. Entkopplung? Eine historische Kehrtwende wird sprachlich zusammengestutzt auf einen technischen Handgriff: Ausdruck eines tiefen, aber nicht ausweglosen Dilemmas.

»Grünes« Wachstum scheint alternativlos, weil der Kapitalismus nicht aus seiner Haut kann. Lohnt sich die durchschnittliche Kapitalinvestition, springt letztlich Wachstum heraus - lohnt sie sich absehbar nicht, setzt schnell eine Krise ein. Investitionen und Kredite bleiben aus, Jobs gehen verloren, Kaufkraft sinkt. Nach wie vor besteht so zwischen Kapitalinteressen und der breiteren Bevölkerung eine Schicksalsgemeinschaft: Zwar »tröpfeln« Profite nicht wie im neoklassischen Wirtschaftslehrbuch stets durch alle Gesellschaftsschichten hinab, doch andersherum ziehen Verwertungskrisen schnell alle in Mitleidenschaft. So können wir auch ökologische Politik kaum anders denken als nach kapitalistischen Maßgaben: Wachstum first, Bedenken second.

Doch auch »grünes« Wachstum ist kein plausibler Ausweg. Wächst die Weltwirtschaft weiterhin um rund 5 Prozent jährlich, erreicht sie bis 2100 das Fünfzigfache ihrer heutigen Größe. Wachstum bedeutete bislang immer steigenden Naturverbrauch. Vage Verweise auf »Innovation« und »Effizienz« erklären schlecht, wie es nun plötzlich vereint werden soll mit absolut sinkendem Rohstoffverbrauch, Nullemissionen und größerem Schutz von Artenvielfalt und sensiblen Ökosystemen. »Grüne« Wachstumsansätze verschieben die Probleme oft eher: Viele CO2-arme Technologien etwa sind rohstoffintensiv und nicht endlos »grün« ausbaubar. Auch die grünsten Technologien sind wenig wachstumsfreundlich: Ersetzen wir Privatautos durch Fußwege, Rad und ÖPNV, so sinkt zwar nicht unbedingt die Mobilität, doch der Mobilitätsmarkt implodiert.

Einer radikalen Klimapolitik steht also die verbreitete und nicht unbegründete Angst im Weg, damit Wirtschaftskrisen loszutreten. Durch diese Kopplung an Kapitalinteressen drohen uns Klimachaos und weitere ökologische Desaster. Diese Schicksalsgemeinschaft gilt es aufzulösen: Statt auf die technische Entkopplung des Wachstums vom Naturverbrauch mitzuwetten, sollten wir unsere materielle Versorgung von der Wachstumswirtschaft entkoppeln - bis Wachstumskrisen wirklich nur noch denen Sorgen bereiten, die an überschüssigem Kapitalbesitz leiden. Für alle anderen muss ökologisch verträgliche materielle Sicherheit real erfahrbar sein, kein vages Zukunftsversprechen.

Tatsächlich dienen viele linke bewegungs- wie parteipolitische Ansätze bereits genau diesem Ziel: marktunabhängige Wirtschaftsstrukturen auszuweiten. Vieles davon passiert sogar im überschaubaren Rahmen, auf lokaler Ebene: Die Rekommunalisierung von Infrastrukturen der Daseinsvorsorge - gegebenenfalls per Enteignung - gehört genauso dazu wie Wohnprojekte, Genossenschaften und Kollektivbetriebe »von unten«. Solidarische Landwirtschaftsbetriebe schaffen regionale Versorgungssicherheit und direkte Beziehungen zwischen Landwirt*innen und Konsument*innen. Das macht die materielle Sicherheit der Beteiligten unabhängiger vom Wohlbefinden des Kapitals. Dafür muss aber politische Förderung auf allen Ebenen erkämpft werden: Zugang zu Land zu vorteilhaften Krediten sowie wirksamerer Schutz davor, doch wieder von billig produzierenden Konzernen verdrängt zu werden. Da auch der Steuerhaushalt konjunkturabhängig ist, braucht es zudem neue solidarische Finanzierungsmodelle.

Das alte Henne-Ei-Problem linker Politik - zuerst Alternativen im Kleinen aufbauen oder den Kapitalismus als großes Ganzes angehen? - löst sich im Zusammenspiel beider Ansätze: Natürlich ist eine neue Wirtschaftsordnung kein lokales Projekt, aber ohne die stabile Grundlage marktunabhängiger Versorgungsstrukturen lässt sie sich kaum im Großen erkämpfen. Auch diese Entkopplung ist kein einfacher Handgriff. Aber sie hängt immerhin nicht von technischen Wundern ab, sondern ist politisch organisierbar.

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