»Wir halten ja nicht Händchen«

Fettes Essen, zu kleine Zellen, unmenschliche Anstaltskleidung - Evelyn Ascher kümmert sich seit über 20 Jahren um Missstände in der JVA für Frauen in Berlin

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 10 Min.

Ich will mal ein bisschen witzig einsteigen: Wie oft waren Sie schon im Knast?

(lacht)

Evelyn Ascher

Die Strafrechtsanwältin Evelyn Ascher ist seit 1997 Anstaltsbeirätin in der Justizvollzugsanstalt für Frauen. Der Beirat kümmert sich um die Belange von Gefangenen und Bediensteten in den jeweiligen Haftanstalten und vermittelt bei Missständen. Seit 2003 ist Ascher auch Mitglied im übergeordneten Berliner Vollzugsbeirat. Im Interview spricht sie über durchsichtige Papierhemdchen, Alcatraz und Haarfärbemittel - und erzählt, was sie sich in Zukunft für die inhaftierten Frauen wünscht.

Das lässt sich gar nicht sagen. Ich bin ja schon seit 1997 regelmäßig ehrenamtlich im Knast. Der Anstaltsbeirat trifft sich einmal im Monat mit dem Gesamtbeirat. Und wir treffen uns mit den Insassenvertretungen. Dann machen wir natürlich unsere Runden und besuchen die Frauen auf Hütte. Die Frauen nennen ihre Zellen Hütte. Also man kann sagen, im Schnitt mindestens fünf-, sechsmal pro Monat, denke ich.

Fünf-, sechsmal pro Monat?

Ja. Aber das war vor der Pandemie. Seit der Pandemie natürlich fast gar nicht mehr. Erst seit Kurzem können wir uns wieder mit der Insassenvertretung treffen.

Das funktioniert im Gefängnis wahrscheinlich auch nicht per Video?

Nein, das funktioniert gar nicht per Video. (lacht) Die Inhaftierten haben ja keinen Internetzugang.

Haben sie trotzdem eine Möglichkeit, sich jetzt in dieser Zeit an Sie zu wenden mit Fragen, Problemen?

Natürlich, sie können mit uns telefonieren. Unsere Telefonnummern sind bekannt. Sie können sich auch schriftlich an uns wenden. Aber wie gesagt, das ist schon sehr eingeschränkt. Was wir alle sehr bedauern.

Sie haben von Frauen gesprochen - Sie sind Anstaltsbeirätin im Frauenknast. Und das seit über 20 Jahren. Wie kam es dazu?

Über den heutigen Vorsitzenden des Berliner Vollzugsbeirats, Olaf Heischel. Ich kannte ihn vom Studium, er ist ein Kollege. Der hatte mich angesprochen, ob ich nicht Interesse hätte für ein Ehrenamt im Anstaltsbeirat. Ich wusste gar nicht, was das ist. Da musste ich erst mal ins Strafvollzugsgesetz gucken. (lacht) Aber dann war mir sofort klar: Ich möchte in die Frauenhaftanstalt. Ich hatte kurz vorher ein Buch von Helga Einsele gelesen, das heißt »Mein Leben mit Frauen in Haft«. Das hatte mich total begeistert.

Als Anwältin waren Sie ja sicher auch vorher schon im Gefängnis gewesen.

Ja. Aber das ist was vollkommen anderes. Für mich als Anwältin gibt es Anwaltsräume, wo ich meine Mandantinnen oder Mandanten empfangen kann. Aber als Anstaltsbeirätin habe ich freien Zugang in den Haftanstalten. Ich bekomme sogar einen Schlüssel ausgehändigt. Das heißt, ich kann die Frauen auf ihrer Hütte besuchen, in ihren Gemeinschaftsräumen mit ihnen sprechen und lerne, wie sie sich in der Haft fühlen, welche Möglichkeiten sie haben, welche Projekte es in den Haftanstalten gibt. Ich bin in ihr Leben integriert. Einmal war ich samstags in einer Haftanstalt, da haben sie von ihrem Einkauf Essen gemacht und mich eingeladen. Da habe ich mich wie eine von ihnen gefühlt. (lacht)

Na ja, das ist schon ein bisschen was anderes.

Natürlich! Ich kann die Haftanstalt jederzeit wieder verlassen. Aber ich habe mich da sehr wohlgefühlt. Und hatte auch ein anderes Verhältnis zu den inhaftierten Frauen, als wenn ich als Anwältin tätig bin. Da hat man automatisch ein sehr distanziertes Verhältnis, weil man aufpassen muss, dass die einem nicht auf der Nase herumtanzen. Aber als Anstaltsbeirätin geht es mehr ums Vertrauen. Da kommen die Frauen mit ihren Problemen zu mir: Frauen, die im Rollstuhl sitzen und schlecht in ihre Hafträume reinkommen. Oder die Kinderspielstunde ist zu kurz.

Gibt es Themen, die Dauerbrenner sind?

Was bei den Insassenvertretungen immer ein Thema ist, und zwar fast jedes Mal, ist das Essen. Da mag man von außen manchmal lächeln und denken: Was haben die denn für Probleme? Das Essen ist aber ganz wesentlich, es hat mit Kommunikation und mit Freude zu tun.

Klar, wir können essen gehen oder selbst kochen, was wir gerne mögen.

Und das können sie eben nicht. Sie werden aus den Männeranstalten beliefert. Und das Essen ist sozusagen männergerecht: Kartoffeln, Fleisch und fette Soßen. Vor Jahren gab es mal ein Genderprojekt, das sich auch damit befasst hat, dass Frauen anders essen. Die mögen Obst und Salat und frische Sachen.

Wobei es für Männer auch gesünder ist, Salat und Obst zu essen.

Ja, die Männer sind heute auch nicht mehr so, dass sie nur für deftige Mahlzeiten zu haben sind. Aber wir müssen jedenfalls immer wieder eingreifen und uns dafür einsetzen, dass regelmäßig Obst oder Gemüse oder was Frisches mitgeliefert wird.

Das hat sich immer mal verbessert, aber wieder verschlechtert?

Genau, es ist eine Kurvengeschichte. Jedenfalls können die Frauen zwar einkaufen, die Anstalten haben aber keine Küchen, die es ermöglichen, sich selbst zu versorgen. Das würde ich mir für die Zukunft schon wünschen - und die Frauen auch.

Es gibt einen Lieferdienst, über den man Sachen des täglichen Bedarfs kaufen kann. Da gibt’s immer mal Beschwerden über die Preise, habe ich gehört.

Ja, die Preise sind höher. Und es gibt nur einen Anbieter. Die Frauen können auch nicht gucken, nehme ich jetzt das oder das, sondern es gibt Listen, wo sie ankreuzen, was sie gerne möchten. Kosmetika zum Beispiel, sie können ja nicht in eine Drogerie gehen. Das ist schon teurer, und das ist auch immer wieder Gegenstand bei den Insassenvertretungen. Manchmal wird auch etwas Falsches geliefert. Die Haarfarbe zum Beispiel.

Na, das ist blöd!

Das ist es, echt. Wenn jemand Blond haben will und die kriegt Schwarz, ist das eine doofe Sache.

Gibt es auch etwas, was sich stark verbessert hat, seit Sie sich engagieren?

Was ganz am Anfang großes Thema war, da waren wir auch ganz stolz ... Es gibt die sogenannten besonders gesicherten Hafträume. Die Inhaftierung ist ja ein ganz gravierender Schritt für die Frauen, plötzlich von ihren Männern und Kindern getrennt zu werden. Da kommt es schon mal vor, dass Frauen austicken. Und wenn sie gar nicht mehr zu bändigen sind, dann hat man sie in diesem besonders gesicherten Haftraum untergebracht.

Das ist Isolationshaft?

Die Gefangenen sagen dazu Bunker. Das ist ein Raum, in dem sie sich nicht selbst verletzen können. Damals, als ich anfing mit der Anstaltsbeiratstätigkeit, haben sie durchsichtige Papierhemdchen gekriegt.

Das fanden wir vom Anstaltsbeirat menschenunwürdig. Wir haben protestiert und gesagt, das geht nicht, das muss sich ändern. Und dann wurde auch tatsächlich eine Arbeitsgruppe gebildet, und diese unsägliche Papierkleidung wurde abgeschafft. Sie werden aber immer noch entkleidet und kriegen Anstaltskleidung, mit der sie sich zum Beispiel nicht so ohne Weiteres strangulieren können.

Ich kenne das ja nur aus dem Fernsehen.

Das Fernsehen, Gott sei Dank sind unsere Haftanstalten allesamt nicht mehr wie Alcatraz. Im Großen und Ganzen sind die Frauenhaftanstalten in Berlin aus meiner Sicht sehr positiv. Die haben nicht nur die kleine Zelle, sondern auch eine Nasszelle, eine Dusche, Toilette, und zwar abgetrennt von der sonstigen Zelle. Wie ein Mini-Apartment.

Vor Jahren hab ich diese alte Haftanstalt in Luckau kennengelernt. Da konnte ich nächtelang hinterher nicht mehr schlafen, so schrecklich war das. Wirklich mittelalterliches Gefängnis. Seit etlichen Jahren gibt es aber auch dort eine neue Haftanstalt.

Im Fernsehen gibt es auch immer fiese Gefängniswärter, was erleben Sie da?

Es kommt schon häufig vor, dass sich Inhaftierte über Bedienstete beschweren. Aber das sind in der Regel Bagatellgeschichten. Ich habe es in der langen Laufbahn nur einmal erlebt - das ist schon ewig her -, dass ein Spruch von einem Bediensteten gefallen ist, als der zwei inhaftierte Frauen auf den Hof brachte. Also er hat lakonisch gesagt: Na, das ist ja ein flotter Dreier. Heute könnte man so was gar nicht mehr bringen. Aber auch schon vor 20 Jahren fanden wir das überhaupt nicht gut. Da sind wir eingeschritten, und es gab Gespräche am Runden Tisch. Und es gab auch Entschuldigungen. So was ist dann, so weit ich informiert bin, nicht mehr vorgekommen. Heute erlebe ich, dass sich die Bediensteten überwiegend für die Frauen engagieren.

Gibt es auch etwas, was sich zum Schlechteren gewendet hat?

Dass es jetzt vier Teilanstalten gibt. Es wäre viel einfacher, wenn wir eine einheitliche Frauenhaftanstalt hätten. Dann hätten wir eine größere Vielfalt an Arbeitsplätzen, dann wäre mehr Platz für mehr Werkstätten. Es gibt zum Beispiel nur in Lichtenberg eine Gärtnerei und eine relativ kleine Schneiderei. Aber die Frauen fahren nicht von einer Teilanstalt zur anderen, um dort zu arbeiten. Das funktioniert nicht.

In allen Teilanstalten gibt es Hausarbeiterinnen. Früher hieß das Hausmädchen, aber den Begriff haben wir zusammen abgeschafft, den fanden wir nicht gut. Das sind die Frauen, die einen Reinigungsjob haben. Und die Frauen haben wenig Möglichkeiten, selbst zu waschen, sondern geben die Wäsche ab, das machen dann die Wäscherinnen. Andere machen die Essensausgabe.

Die vier Teilanstalten kann man wahrscheinlich nicht so einfach abschaffen. Ist das etwas, was Sie gegenüber der Leitung ansprechen?

Das ist immer Thema. Aber die Teilanstalten gibt es jetzt seit vielen Jahren, und sie sind natürlich auch entsprechend eingerichtet.

Hat die Arbeit im Anstaltsbeirat Ihre Arbeit als Anwältin beeinflusst?

Ja, natürlich. Man hat mehr Informationen und kann besser argumentieren. Man kann also im Plädoyer zum Beispiel vortragen, wie belastend der Strafvollzug ist und warum man eine andere Lösung finden muss. Auch gegenüber Mandanten oder Mandantinnen kann ich argumentieren, was alles auf sie zukommt. Das war aber nicht die Motivation, in den Beirat zu gehen.

Stoßen Sie in der Haftanstalt auch auf Frauen, die Sie mal vertreten haben?

Ja, zwangsläufig. Und dann, wenn ich mal über den Hof laufe, sagt die eine oder andere: »Hallo, Frau Ascher, wie geht’s Ihnen?« Und manchmal, letztens ging es mir wieder so, da guckte ich, und das Gesicht kam mir bekannt vor - aber ich hätte nicht sagen können, wer das war. Das ist schon ein paar Jahre her, dass ich sie vertreten habe.

Aber es haben sich keine näheren Bekanntschaften entwickelt?

Nein. Es kann durchaus sein, dass ich mal zu der einen oder anderen auf Hütte gegangen bin. Aber wir halten da ja nicht Händchen. Wir beraten bei Missständen und Ungleichbehandlung.

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Waren Sie auch mal zwischendurch so frustriert, dass sie beinahe aufgehört hätten?

Ans Aufgegeben hab ich so explizit nicht gedacht, aber ich hatte schon mal die Schnauze voll, ja. Es gibt schwierige Frauen, die sehr fordernd sind, die mich oder andere Beiratsmitglieder beschimpfen, die fragen: »Was tun Sie überhaupt für mich?!« Und dabei sehr aggressiv auftreten. Da denke ich: Jetzt reicht’s. Aber ans Aufhören hab ich deswegen nie gedacht. Und es kommt auch eher selten vor.

Sie sind fast 69 Jahre alt, geben Ihre Anwaltstätigkeit nun auf, bleiben aber im Anstaltsbeirat. Was wollen Sie dort noch erreichen?

Was immer wieder in der Diskussion war und was ich auch befürworten würde, ist die Möglichkeit, den sogenannten Computer-Führerschein zu machen. Wenn Frauen entlassen werden und in Berufe einsteigen wollen, können sie heute ohne Computerkenntnisse fast nichts mehr machen. Die Frauen bringen häufig noch nicht mal einen Hauptschulabschluss mit, wenn sie in Haft kommen.

Wo wir auch schon seit Jahren dran sind, was die Frauen gerne hätten, wäre die Möglichkeit, E-Mails zu verschicken. Das wäre für die Frauen erheblich kommunikativer und erheblich preiswerter, jetzt müssen sie immer noch Briefmarken kaufen.
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