Nichts als Knalleffekt und Spektakel

Berlinale Special Gala: »Je suis Karl« untersucht die Neue Rechte und zeichnet dabei ein unrealistisches Bild

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Oktober 2020 startete Julia von Heinz’ Film »Und morgen die ganze Welt« in den deutschen Kinos, der einen Einblick in eine gewalttätige linksradikale Gruppierung gab. Nun feiert mit »Je suis Karl« ein Film Premiere, der die Szenerie ins rechtsextreme Milieu verlagert.

Die junge Maxi Baier (Luna Wedler) verliert bei einer Bombenexplosion mitten in Berlin ihre Mutter und die beiden kleinen Brüder. Mit ihr überlebt Vater Alex. Die Eltern werden als linksaktivistisch vorgestellt, in einem Prolog schmuggeln sie den jungen Flüchtling Yusuf in ihrem Auto über die deutsche Grenze. Bald werden islamistische Terroristen für den tödlichen Anschlag verantwortlich gemacht. Als Maxi von Journalisten verfolgt wird und in einer Boutique Zuflucht sucht, hilft ihr der gleichaltrige Karl (Jannis Niewöhner) dabei, die Verfolger abzuschütteln und lädt sie zu einer »Summer Academy« nach Prag ein. Dort, so heißt es in Flyer und Ankündigungsvideo, werde die europäische Zukunft geplant. Vor Ort stellt sich bald heraus, dass der Kongress eine Veranstaltung der Gruppe Re/Generation ist, die unübersehbar der Identitären Bewegung nachempfunden ist. Karl ist deren charismatischer Anführer. Die Trauer über ihren Verlust weicht bei Maxi zunehmend der Wut auf arabische bzw. muslimische Zuwanderer, schließlich wird sie gar zur Ikone der Neuen Rechten.

Regisseur Christian Schwochow (»Bad Banks«) meint es durchaus gut und ernst, der Film führt die glatt gebügelten Fascho-Hipster als Wölfe im Schafspelz vor, zwischen deren Rhetorik und dem »Sieg Heil« nur die schicke Fassade steht. Den Bombenanschlag haben in Wahrheit nämlich nicht Islamisten, sondern die Rechten um Karl höchstpersönlich geplant und durchgeführt und das Verbrechen nur so aussehen lassen, als sei es von Arabern verübt worden. Ziel dieses und weiterer ähnlicher Moves ist es, eine Mehrheit der europäischen Bevölkerung für eine identitär-faschistische Machtübernahme zu begeistern.

So hellsichtig der Film die Identitären als Faschisten entlarvt, so gekonnt Schwochow sein gutes Ensemble, aus dem der Alex-Darsteller Milan Peschel noch herausragt, in Szene setzt, so sehr scheitert »Jes suis Karl« daran, dass er in erster Linie ein spektakulärer Thriller sein will und das politische Thema zur Kulisse eines absurden Plots und einer Aneinanderreihung von Explosionen, Party-Exzessen und schließlich einer überdrehten Bürgerkriegsszenerie wird. Statt sich seinen Figuren zu widmen, Motivationen und Gruppendynamiken plausibel herauszuarbeiten oder die Politisierung der Figuren verständlich zu machen, interessiert sich Schwochow hauptsächlich für Knalleffekt und Spektakel.

So lässt sich die in einem linken Umfeld aufgewachsene Maxi, die zunächst als fühlende und sehr traurige Tochter und Schwester, aber auch als aufbrausende, meinungsstarke junge Frau gezeichnet wird, von dem schmierigen Karl, dessen Politik sie zunächst skeptisch sieht, mit dem sie aber bald schon eine Liaison beginnt, mir nichts, dir nichts korrumpieren. Hier werden keine Figuren und Beziehungen entwickelt, sondern eine (leider auch noch arg triviale) Botschaft herausposaunt: Aus Trauer und Wut können schnell Angst und Hass werden und mit der Neuen Rechten stehen die Rattenfänger schon bereit.

Aber nicht nur die Figuren wirken eher wie ein Statement, überhaupt ist »Je suis Karl« zu sehr Kommentar auf reale Vorgänge, der Film ruft zu viele Diskurse und Ereignisse auf, will alles unter einen Hut zwingen und verliert dabei Linie und Plausibilität.

Hier wird ein Bild von jungen Rechten entworfen, die kurz davor stehen, eine Bevölkerungsmehrheit für Faschismus und Putsch zu erreichen. Diese Darstellung hat aber mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Und warum sollte man den Rechtsradikalen Massenbasis, Mut, Charisma und Courage andichten, um ihre Gefährlichkeit herauszustellen? Die dumpfen Höcke-Nazis in »Und morgen die ganze Welt« kommen der braunen Wirklichkeit deutlich näher und wirken in ihrer Wahrscheinlichkeit letztlich auch bedrohlicher als Schwochows ausgedachte smarte Nazi-Hipster.

»Je suis Karl«: Deutschland/Tschechische Republik 2021. Regie: Christian Schwochow. Termine: 19.6., 21.30 Uhr, Freiluftkino Friedrichshain; 20.6., 21.30 Uhr, Freiluftkino Biesdorfer Parkbühne.

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