Nächster Schlussstrich?

Historiker streiten über die deutsche Geschichte und deren Bewältigung

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun sag, wie hältst du’s mit der deutschen Geschichte? Die historische Zunft ist sich uneins. War das deutsche Kaiserreich eine Wiege der Demokratie und ist die Vorstellung eines preußischen Obrigkeitsstaates mit seinem Militarismus, gar eines »deutschen Sonderwegs« von Bismarck zu Hitler endgültig passé? Einen neuen und frischen Blick auf die Vergangenheit, so nennt man wohl, was die Historikerin Hedwig Richter mit ihrem Buch »Demokratie, eine deutsche Affäre« darlegt: die Erzählung einer großartigen deutschen Geschichte hin zu Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit - bis auf den Zivilisationsbruch Holocaust. Ein paar alte Recken der Geschichtswissenschaft meldeten ihren Widerspruch an, doch die Zeit steht gegen sie: sowohl mit dem Wiederaufbau ikonischer Bauten des Preußentums als auch der forschen Wiederkehr des Adels, von der außenpolitischen Selbstermächtigung im Namen globaler Verantwortung ganz zu schweigen.

Und die nächste Debatte folgt zugleich, angestoßen von Dirk A. Moses. In seinem Text »Der Katechismus der Deutschen« rechnet der US-amerikanische Genozidforscher ab. Mit wem, lässt sich schwer sagen, die Grenze zwischen geschichtswissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Argumenten verschwimmt. Glaubten die Deutschen früher an Erlösung durch Antisemitismus, so sei der Judenmord heute das moralische Fundament der BRD. Der deutsche Katechismus sichere den »ikonischen Status des Holocausts«, über seine Einhaltung würden Hohepriester und Glaubenswächter, gar eine Inquisition wachen. Wie man es auch dreht und wendet, die Wahl des Vokabulars ist verräterisch. Zum rechten Kampfbegriff vom »Schuldkult« ist es nicht weit, ohne das überzubewerten.

Doch nicht nur Begriffe aus der Welt der Religion verschleiern die Sache. »Deutsche Eliten instrumentalisieren den Holocaust, um andere historische Verbrechen auszublenden«, schreibt Moses und ergänzt in einem zweiten Text über die »Dialektik der Vergangenheitsbewältigung«, die Erinnerung an den Holocaust sei »zu einem Instrument geworden, um ›Fremde‹, Muslime und Migranten zu regieren und auszugrenzen«. Die Hohepriester würden eine »formierte Gesellschaft« der »weißen Vorherrschaft« anstreben. Dass die Ermordung der europäischen Juden instrumentalisiert werden kann, siehe Joschka Fischer, ist ohne Frage. Dass jedoch diese Instrumentalisierung hierzulande bevorzugtes Mittel des Regierens und der Ausgrenzung sei - wo weit effektivere bereitstehen und man zudem von den Verbrechen der Vergangenheit in toto nichts mehr wissen möchte, vermutlich, um endlich neue begehen zu können - ist ein Fehlschluss.

Für seine große Erzählung unterschlägt Moses schlicht die Kritik an der Nationalisierung und Instrumentalisierung. Ebenso die DDR. Im vermeintlichen Glaubensbekenntnis wird ihm alles gleich, um dann mit dekolonialer Theorie und Antizionismus gegen den von ihm errichteten Pappkameraden aufzutrumpfen. Doch bereits Detlev Claussen hat in seinem großen Werk »Grenzen der Aufklärung« den Holocaust nicht zuvorderst in der Geschichte des Antisemitismus, sondern der Gewalt verortet. Dort heißt es auch: »Die unablässige Kommunikation des Holocaust steht der Erkenntnis im Wege.« Moses aber will nicht die Erkenntnis, er will das Gedenken - in seiner Diktion: den Aberglauben - an den Holocaust in Gänze abräumen. Die vorerst letzte Volte ist, dass er Carolin Emcke als jüngstes Opfer der Hohepriester bezeichnet. Wer über die Instrumentalisierung der Judenverfolgung spricht, muss auch über Emckes unnötigen Vergleich sprechen, der der moralischen Erhöhung und Immunisierung eines Milieus dient, das solches »Judenstern-Anheften« bei anderen ächtet.

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