Kinder, Kinder …

… es gibt was für's Auge

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach der Durchsicht von etwa einhundertfünfzig Verlagsvorschauen auf die Sommer- und Herbstsaison dieses Jahres, Blick auf die einschlägigen Webseiten und Entgegennahme von persönlichen Empfehlungen kann mein Fazit nur lauten: Wir brauchen mehr Leseräume und Lesezeit. Und dabei sind die Neuerscheinungen aus den Konzernverlagen noch gar nicht berücksichtigt, die wir, aus Gründen der Bibliodiversität, gern anderen für ihre Zeitungsseiten überlassen.

Vierzig Titel haben es in die engere Auswahl geschafft, für nur sieben ist Platz in dieser Beilage - für das Durchblättern der anderen dreiunddreißig Titel empföhle ich den Gang in die Schul- oder öffentlichen Bibliotheken, wenn, ja, wenn nicht … Und nein, diesmal muss das nicht der Corona-Pandemie in die Schuhe geschoben werden. Der erbärmliche Zustand der Bibliotheken als Orte des Erwerbs von Wissen und Lebensfreude seit vielen Jahren schon ist dem Agieren unterkomplexer Marktfetischisten geschuldet, die Menschen und gesellschaftliche Interaktion nur als Kennziffern und Tabellenkalkulationen zu erfassen vermögen.

Die Schulschließungen und die Verlagerung des Unterrichts in den virtuellen Raum haben lediglich die Schwächen der Schulorganisation und die Untauglichkeit des hiesigen Bildungssystems deutlich hervortreten lassen (man muss für Verbesserungen gar nicht die beliebte »Zukunftsfähigkeit« beschwören, es reichte schon der Anschluss an erprobte und erfolgreiche Schulkonzepte). Trotz des Engagements vieler Lehrerinnen und Lehrer - wenn Bildungspolitik sich darauf beschränkt, über die Ausstattung mit Laptops und schnellere Internetverbindungen sich »Gedanken zu machen«, hat sie diesen Namen schon nicht verdient, dann ist sie nur die Verwaltung des Elends, das nicht allein die Armen, unter entwürdigenden Verhältnissen Leidenden trifft, sondern zunehmend auch die sogenannte Mittelschicht. Schmalspurunterricht, Überforderung, Frustration, mentale Erschöpfung sind längst alltäglicher Begleiter vieler Kinder. Neuester Erhebungen zufolge schaffen 12,5 Prozent der Viertklässler nicht die Mindestanforderungen beim Lesen, ein Fünftel der Fünfzehnjährigen erfasst nicht den Sinn einfacher Texte, 6,2 Millionen Erwachsene sind funktionale Analphabeten. Noch Fragen?

Wenn also demnächst die Wahlkämpfer wieder ausschwärmen, erkundigen Sie sich nach Kitaausbau, der Ganztagsbetreuung, Lehrerausbildung, nach Bibliotheksausstattungen, Schulen ohne soziale Segregation, kommunalen Freizeit- und Bildungsstätten. Das sind die Grundfragen im Bildungsbereich. Und was die Finanzierung anbetrifft: ich hätte da so eine Idee. Ein paar Konzernsubventionen, Steuerschlupflöcher und Maskenprovisionen weniger - schon gäbe es Bücher und Leseräume für alle, nicht nur für Kinder. Klimawandel, Umwelt- und Menschvernutzung sind damit nicht behoben. Aber es wäre ein Anfang, denn bürgerschaftliches und politisches Engagement bedarf der Bildung. Und die gibt es nicht auf der Youtube-Universität. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre. Und wenn Sie im Bildungsbereich tätig sind: Schauen Sie auf www.buch-berlin-kids.de, dort können Sie kostenfrei Autorinnen und Autoren besuchen oder für den Kinderbuch-Lesesommer buchen.

In dieser Ausgabe

  • Marianne Ferrer: Tukanien
  • Julia Nüsch: Der fleißige Mistkäfer
  • Romana Romanyschyn & Andrij Lessiw: Sehen
  • Iva Procházková & Marion Goedelt: Elias und die Oma aus dem Ei
  • Thomas Hartl & Mirjam Zehls: Fauststarker Herzschlag
  • Antje Herden & Maja Bohn: Parole Teetee
  • Andrea Behnke & Inbal Leitner: Die Verknöpften
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