Verschwörungsmythen treiben Antisemitismus an

Die Zahl der judenfeindlichen Vorfälle in Deutschland ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen

Manche halten sich als die neuen Juden, sehen in den Corona-Maßnahmen und der Impfkampagne einen neuen Holocaust aufziehen. Andere wittern hinter den Maßnahmen die »jüdische Weltverschwörung«. Antisemitische Einstellungen waren im Jahr 2020 besonders oft unter den sogenannten Querdenkern und anderen Leugnern der globalen Pandemie verbreitet. Das hat der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) in seinem Jahresbericht »Antisemitische Vorfälle in Deutschland 2020« herausgearbeitet.

RIAS zählt insgesamt 1909 antisemitische Vorfälle im vergangenen Jahr. Bei knapp der Hälfte dieser Vorfälle kann ein eindeutiger politisch-weltanschaulicher Hintergrund benannt werden. 479 Taten werden der Kategorie Rechtextremismus und Rechtspopulismus zugeordnet. 247 weitere Vorfälle haben laut RIAS einen verschwörungsideologischen Hintergrund. Hier gab es auch besonders stark steigende Fallzahlen. In Bayern etwa von 10 Vorfällen im Jahr 2019 auf 78 im vergangenen Jahr. Zurückgegangen ist im Jahr 2020 die Zahl der antisemitischen Vorfälle mit einem Bezug auf Israel.

Bei der Vorstellung des Jahresberichts zeigten RIAS-Mitarbeiter auf, wie breit das Spektrum antisemitischer Vorfälle reicht. So berichteten die Experten etwa von einem Kunden eines Geschäfts in Oberbayern, der, weil er ohne Maske nicht in den Laden kam, ein Schild mit der Aufschrift »Hier werden Juden nicht bedient!« vor dem Geschäft aufstellte. Das war eine eindeutige Verharmlosung des Antisemitismus im Nationalsozialismus.
Es kam aber auch zu körperlichen Angriffen, weil etwa jemand das T-Shirt eines jüdischen Sportvereins trug. Für 2019 verzeichneten die Meldestellen insgesamt 40 körperliche Angriffe.

Das liegt auch daran, dass es RIAS-Meldestellen bisher nur in Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Bayern gibt. Polizeidaten fließen nur in die Statistiken aus Berlin und Brandenburg ein. Der RIAS-Vorsitzende Benjamin Steinnitz geht von einem großen Dunkelfeld aus. Deswegen fordert Abraham Lehrer vom Zentralrat der Juden, dass die Bundesländer sich darum kümmern, dass RIAS-Meldestellen flächendeckend aufgebaut werden können und dafür auch die notwendige finanzielle Unterstützung da ist. Es sei »wichtig«, dass diese Zahlen erhoben würden. Die unabhängige Meldestelle sei auch nötig, weil sich viele Mitglieder der jüdischen Gemeinden scheuten, sich bei »offiziellen Stellen« zu melden. Lehrer nannte es »furchtbar«, dass laut dem RIAS-Bericht 677 Menschen im vergangenen Jahr von antisemitischen Vorfällen betroffen waren.

Bei der Vorstellung des Berichts für 2020 gab RIAS auch schon ein Schlaglicht auf das aktuelle Jahr. Im Zuge des Konflikts zwischen Israel und der Hamas im vergangenen Mai habe es mehr als 200 antisemitische Vorfälle gegeben. Der Nahostkonflikt biete eine »Gelegenheitsstruktur« für antisemitische Handlungen, erklärte Benjamin Steinnitz. Als Treiber des israelbezogenen Antisemitismus hat RIAS sowohl religiös-nationalistische Gruppen aus der Türkei als auch arabische Islamistengruppen identifiziert.

Die Meldestelle warnte trotzdem vor einfachen Lösungen. Die Forderung, antisemitische Täter abzuschieben oder ihnen die Staatsbürgerschaft zu verweigern, sei eine »Maßnahme, die nur einen ganz kleinen Teil der Gesellschaft« betreffen würde und vom Antisemitismus des Rests ablenke. Verbote von Demonstrationen vor Synagogen oder das gezielte Vorgehen, etwa gegen Kader der Hamas, die Deutschland als Rückzugsraum nutzen, seien effektiver, um Antisemitismus zurückzudrängen.

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