Bruderküsse zwischen Dom und Donau

Die frühere Industriestadt Linz hat sich zum Zentrum junger Kunst und Wissenschaft gemausert. Ihre Lage an der Donau und am Rande des Alpenvorlands machen sie als Reiseziel noch attraktiver. Seit ein paar Wochen begrüßt die Stadt wieder ausländische Gäste

  • Carsten Heinke, Linz
  • Lesedauer: 7 Min.

Wenn am Horizont der Pöstlingberg erscheint, ist es nicht mehr weit. Der 539 Meter hohe Stadtberg mit seiner wirklich schrägen Bergbahn und der barocken Wallfahrtskirche oben drauf gehört zu Linz wie seine Gittertorte und der Stahl, von dem bis heute viele Linzer leben. Doch die Industriestadt Linz sieht man mittlerweile eher auf den zweiten oder dritten Blick. Augenfällig ist dagegen die Stadt der Künste und der Wissenschaft. »Linz hat sich verändert«, sagt Gästeführer Sebastian Frankenberger. Seit es 2009 Kulturhauptstadt Europas war, habe sich sein Image positiv gewandelt - und zwar sowohl nach außen hin als auch im Bewusstsein der Bevölkerung, so der Mathematiker und Theologe. »Die Attraktivität der Heimatstadt massenweise aus der Sicht von Fremden zu erleben, ließ auch aus vielen Linzern Linz-Fans werden«, berichtet der 39-Jährige. Wie liebenswert die Stadt ist, um die die Weltgeschichte einen Bogen machte, beweist er gern mit seinen Touren.

Dabei geht es auch zum Neuen Dom - mit Platz für 20 000 Menschen die größte Kirche Österreichs - und auf dessen 112 Meter hohe Aussichtsplattform sowie zum Alten Dom, wo der Komponist Anton Bruckner 13 Jahre lang die Orgel spielte. Gleichfalls auf der Standardroute liegt das Schloss mit seinem tollen Donaublick-Café. Am liebsten jedoch zeigt Frankenberger das neue, junge Linz.

An der Nibelungenbrücke in der City fängt es an. Das Lentos Kunstmuseum, Haus der Avantgarde und selbst ein progressives Kunstwerk, setzt sich mit seiner edlen Schlichtheit selbst in Szene. Formvollendet wird es durch die Donau. Das Spiegelbild des langen schlanken Quaders passt perfekt in sie hinein. Abendliches Farblicht verstärkt die Wirkung vielfach - zumal der Glaspalast am Ufer gegenüber mithält, indem er sich bei Dunkelheit in eine Lichtskulptur verwandelt.

Es ist das Ars Electronica Center, das Zukunftstechnologien in einer interaktiven Ausstellung unterhaltsam vorstellt und vielmehr kreatives Spiellabor für jede Altersgruppe als ein Museum ist. Hervorgegangen ist das Zentrum aus dem gleichnamigen Kunst-und-Technik-Fest, das wie das Open-Air-Musikfestival »Klangwolke« alljährlich vom Brucknerhaus ausgerichtet wird. Die Konzerthalle trägt den Namen des Komponisten, der 1824 bei Linz geboren wurde. Aktionsort des Events ist die Donaulände, ein Park direkt am Fluss.

Außer zu Festen und Konzerten dient das weitläufige Grünland zwischen zwölf Metallgroßplastiken als sommerliche Liegewiese inklusive Sandstrand, Beach Bar und Essen aus dem Bergbahnwagen. Mehr Donaubadestrände gibt es flussaufwärts in Alt-Urfahr sowie nördlich von der City, flussabwärts hinterm Winterhafen.

Mit diversen Bühnen, Podien und erlebnisreichen Ausstellungen wie »Höhenrausch«, einem jährlich wechselnden Kunstprojekt in alten Klosterräumen und auf einem Parkhausdach, belebt das OÖ Kulturquartier die schöngeistige Szene in der City. Der Duft von frisch Gebackenem wie Linzer Torte weht genauso durch die Altstadtgassen wie der frische Wind trendiger Läden und Lokale. Etwa so wie der des unscheinbaren Ateliergeschäfts von »Donau Stein Design«.

Da sind Ketten, Anhänger und Armbänder, Ringe, Broschen, Ohrgehänge ausgestellt und dezent beleuchtet. Auf den ersten Blick gleicht alles einer ganz normalen Modeschmuckboutique. Doch dann fällt auf, dass wenig Glänzendes und Funkelndes darunter ist. Wertvolle Metalle halten sich dezent im Hintergrund, tauchen höchstens mal als Fassung auf, um das Herz des Schmuckstücks würdevoll zu präsentieren. Und das ist jedes Mal - ein einfacher und zugleich einzigartig schöner Stein, manchmal auch mehrere.

»Sie sind alle aus der Donau«, sagt Fabian Elia Almesberger, der das kleine Unternehmen zusammen mit seiner Mutter Sieglinde führt. »Fanden wir beim Spazierengehen besondere Steine, nahmen wir sie mit nach Hause. Irgendwann begann meine Mutter, daraus Schmuck zu machen«, erzählt der junge Geschäftsmann. Mittlerweile sammelt er die Steine wöchentlich und sorgt für Rohstoffnachschub in der Werkstatt.

Je nach Größe, Form und Farbe werden die Naturfundstücke durchbohrt und aufgefädelt, eingefasst graviert, bemalt oder belassen, wie sie das Donauwasser seit Millionen Jahren formt, bewegt und irgendwann ans Ufer spült. Die Dinge, die Sieglinde Almesberger daraus durch Liebe und Geschick entstehen lässt, sind bei Linzern und Touristen sehr gefragt. »Naturstein ist zeitlos und eine Erinnerung von bleibendem Wert«, so die Designerin.

Hoffentlich auch von langer Dauer sind die kreativen Werke, die nordöstlich von der Linzer Altstadt an den großen Außenflächen diverser Lagerhallen und Industrieruinen wachsen. Seit 2012 entwickelt sich dort ein Kreativrevier von internationalem Rang: Mural Harbour, die Wandgemäldegalerie im Handelshafen. Inzwischen zählt sie weltweit zu den größten und bedeutendsten.

Das Motorschiffchen MS Eduard tuckert durch das Donau-Hafenbecken. Am Steuer sitzt der Chef und Gründer des Projekts: Leopold Gruber. »Es begann mit einer nackten Hallenwand, die ich vom Büro aus sah und eigentlich nicht sehen wollte«, erzählt der 44-Jährige. Besprüht sei sie danach erträglicher gewesen. Und weil die Vermieterin, die Linz AG, mit weiteren Fassadenbildern einverstanden war, füllten sich die kahlen Mauern bald mit Gemälden aus der Dose.

Von Gebäudewänden schauen riesige Gesichter, springen Superfüchse oder -schlangen, wird - mal still, mal grell gefärbt - im XXL-Format geküsst, gekuschelt und gekämpft. Fast 200 Künstler aus 35 Ländern haben sich bislang in mehr als 300 solcher Werke verewigt. Zu den populärsten gehört der »Bruderkuss« von Polizist und Sprayer im Stil der berühmten Breschnew-Honecker-Pose, eine Gemeinschaftsproduktion von Karikaturist Gerhard Haderer und Street-Artist Erich Willner alias SHED.

Drüben auf der Donau fährt ein Kreuzfahrtschiff vorbei. Ein paar Leute stehen auf dem Oberdeck, um Linz noch einmal zuzuwinken. Einige versuchen, ein paar Fotos aus dem bunten Hafenviertel zu erhaschen. Die meisten Passagiere sind vermutlich längst »auf Landschaft« programmiert. Nicht weit von hier, südlich von Linz, beginnt das Alpenvorland und mit dem Strudengau knapp 50 Kilometer östlich das wunderschöne Durchbruchstal der Donau. Das erstreckt sich über Nibelungengau sowie Wachau bis hin zum Tullner Becken kurz vor Wien. Dahin führt vielleicht die nächste Reise.

Tipps & Infos

Anreise: Die Zugreise von Berlin nach Linz dauert etwa sieben bis zehn Stunden (www.bahn.de). Mit dem Auto ist man auf dieser Strecke (600 km) sechs bis acht Stunden unterwegs.

Hotels: Prima in der Altstadt übernachten kann man zum Beispiel in den modernen Hotels »Schwarzer Bär« (DZ ab 80 €, www.linz-hotel.at) oder »Am Domplatz« (DZ ab 109 €, www.hotelamdomplatz.at). Südlich von Zentrum liegt das nagelneue »Spinnerei-Designhotel« (DZ ab 59 €, www.spinnerei-designhotel.com).

Kunst, Kultur und Wissenschaft: Geführte Bootstouren durch Europas größte Street-Art-Galerie mit anschließendem Graffiti-Crashkurs bietet Mural Harbour (Linzer Hafen, Industriezeile 40, April bis Oktober, www.muralharbor.at). Außerdem: Ars Electronica Center (»Museum/Schule der Zukunft«, interaktive Führungen, Eintritt 11,50 €, www.ars.electronica.art); Lentos Kunstmuseum (Eintritt 8 €, www.lentos.at); Regionalgeschichtliches Museum im Linzer Schloss (Eintritt 6,50 €, www.landesmuseum.at); Höhenrausch im OÖ Kulturquartier (multimediales Kunstprojekt mit jährlich wechselnden interaktiven Ausstellungen, Eintritt 10 €, www.hoehenrausch.at).

Design zum Mitnehmen: Schönes, kreatives Kunsthandwerk aus Donausteinen und anderen Naturmaterialien bietet »Donau Stein Design« an (Hofgasse 7, www.donausteindesign.com).

Linzer Torte: Die beste - sagt Tourguide Sebastian Frankenberger - gibt’s bei Fritz Rath in der K.-u.-k.-Hofbäckerei (www.kuk-hofbaeckerei.at).

Auskünfte: www.linztourismus.at www.oberoesterreich-tourismus.at

Die Recherche wurde unterstützt von Linz Tourismus.

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