Zuma erregt Südafrika

Plünderungen in Südafrika nach der Inhaftierung des Ex-Präsidenten

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Südafrika versinkt im Chaos. Was als gewaltsamer Protest gegen die Inhaftierung von Ex-Staatspräsident Jacob Zuma begann, ist inzwischen in weit verbreitete Plünderungen übergegangen. Mindestens 200 Einkaufszentren und Supermärkte waren in den beiden bevölkerungsreichsten Provinzen des Landes, Gauteng und KwaZulu-Natal, bis zum Montagabend geplündert worden. Am Dienstag weitete sich dies auch auf Warenhäuser, Lagerhallen und Fabriken aus. Auch aus der Provinz Ostkap gab es erste Berichte von Plünderungen.

Per Liveübertragung zeigen südafrikanische Nachrichtensender seit Montag, wie Bürger aller Altersgruppen in scheinbarer Seelenruhe die Waren aus Supermärkten davontragen. Auf Bildern des Senders eNCA, der das Geschehen in Durban, der zweitgrößten Stadt des Landes, aus der Luft filmte, ist zu sehen, wie über die Stadt verteilt Hallen und Fabriken in Flammen stehen. Aus einem Lagerhaus, das gerade geplündert wird, strömt eine schier endlose Menschenschlange zu einer nahe gelegenen Schnellstraße, wo Autos und Pick-ups aufgereiht stehen, mit denen die geplünderten Güter abtransportiert werden. Polizei- oder Armeekräfte sind nirgendwo zu sehen. Einzig in der Gegenrichtung fährt ein Blaulicht-Konvoi vorbei - der Reporter mutmaßt aus dem Helikopter, dass es sich um einen ranghohen Politiker handeln müsse.

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Am Montagabend wandte sich Cyril Ramaphosa in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung. »Mit schwerem Herzen« spreche er zu seinen Landsleuten, erklärte der Staats- und Regierungschef. Die Ausschreitungen stellten »Akte öffentlicher Gewalt dar, wie wir sie in der Geschichte unserer Demokratie selten gesehen haben«. Namentlich zählte er die bis dahin zehn Todesopfer auf; bis Dienstagmittag stieg die Zahl der Toten auf mindestens 45. Wirklich verifizieren lässt sie sich in dem Chaos allerdings nicht. Ramaphosas Appell zur Beruhigung verhallte ungehört. Noch während der Präsident sprach, blendete der Nachrichtensender eNCA Livebilder von der Plünderung und Zerstörung eines Blutspendezentrums in einem Einkaufszentrum in Durban ein. Die staatlichen Einsatzkräfte haben jegliche Kontrolle verloren, vielerorts haben sich bereits bewaffnete Bürgerwehren gebildet, die ihre Stadtteile abriegeln.

Anlass der Ausschreitungen war die Inhaftierung von Expräsident Jacob Zuma am vergangenen Dienstag. Zuma hatte sich trotz richterlicher Vorladung geweigert, vor einer Untersuchungskommission auszusagen, die die korrupte Unterwanderung des Staates während seiner Amtszeit (2009-2018) aufklären soll. Wegen Missachtung des Gerichts hatte das Verfassungsgericht ihn deshalb zu einer 15-monatigen Haftstrafe verurteilt. Tags darauf zündeten Zuma-Anhänger an einer Mautstelle auf der Autobahn N3 zwischen Johannesburg und Durban insgesamt 23 Lkw an und unterbrachen damit die Hauptverkehrsader zwischen dem ökonomischen Zentrum des Landes und der wichtigsten Hafenstadt. Die Proteste und Brandschatzungen setzten sich über das gesamte Wochenende fort und gingen schließlich in die Plünderungen über. Vertraute Zumas feuerten die Ausschreitungen öffentlich kaum verhohlen an; der Sprecher der Stiftung des Expräsidenten sprach von »berechtigter Wut«, eine Tochter Zumas schrieb zu Bildern brennender Lkw auf Twitter gar: »Lasst es brennen!«

Ramaphosa machte in seiner Ansprache vom Montagabend dann »Menschen, die entlang ethnischer Linien zu Gewalt und Unordnung aufhetzen wollen«, als Verursacher der Ausschreitungen aus, erkannte aber zugleich, dass »wir jetzt Zeugen opportunistischer Kriminalität sind«, und gestand ein: »Das Niveau der Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit in unserer Gesellschaft ist untragbar.«

In der Tat, und das weiß auch Ramaphosa: Die Inhaftierung seines Amtsvorgängers Zuma, dem er sowohl an der Spitze des regierenden African National Congress als auch des Staates zunächst als Stellvertreter diente und den er schließlich in beiden Ämtern ablöste, war nicht mehr als ein Auslöser. Die Ursachen der völlig außer Kontrolle geratenen Plünderungen und Ausschreitungen liegen in einer Gesellschaft, in der die Kluft zwischen Arm und Reich - gemessen an Einkommen und Vermögen - so groß wie nirgendwo sonst auf der Welt ist. Die Corona-Pandemie, die im Land gerade in der dritten Welle tobt, und ein harter Lockdown haben die ohnehin seit 2019 in der Rezession befindliche Wirtschaft noch weiter geschwächt und die Armut verschärft. Nach den Plünderungen und Zerstörungen drohen nun zudem Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln, medizinischen Gütern und Treibstoff.

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