Ecuador: Der Umbau der Verfassung

Der rechte Präsident Daniel Noboa will sich mit Volksbefragung freie Fahrt verschaffen

  • Valeria Bajaña Bilbao
  • Lesedauer: 4 Min.
2009 wurde in Ecuador die US-Militärbasis in Manta geschlossen, weil die Verfassung von 2008 ausländische Militärbasen untersagte. Der rechte Präsident Daniel Noboa will das wieder ändern.
2009 wurde in Ecuador die US-Militärbasis in Manta geschlossen, weil die Verfassung von 2008 ausländische Militärbasen untersagte. Der rechte Präsident Daniel Noboa will das wieder ändern.

Ecuador steht vor einer entscheidenden Volksbefragung am 16. November, deren Ausgang das politische Gefüge des Landes nachhaltig verändern könnte. Wochenlange Demonstrationen, Zusammenstöße mit Polizei und Militär, drei Tote und Dutzende Verletzte haben in dem Land bereits tiefe Spuren hinterlassen. Ausgelöst wurden die Proteste durch die Abschaffung der Dieselsubvention – doch längst geht es um mehr: um den wachsenden Widerstand gegen Präsident Daniel Noboas autoritären Regierungskurs und seine geplanten neoliberalen Reformen.

Die bevorstehende Abstimmung verspricht eine politische Neuordnung Ecuadors. Auf dem Stimmzettel stehen eine Reihe kontroverser Vorschläge: die Rückkehr ausländischer Militärstützpunkte, die Abschaffung der staatlichen Parteienfinanzierung und die Verringerung der Zahl der Abgeordneten. Doch hinter all diesen Punkten verbirgt sich das eigentliche Ziel von Daniel Noboa: der Umbau der Verfassung.

Noboas Initiative sorgt für Spannungen

Der Präsident spricht von einem Befreiungsschlag. Er wolle, so schrieb er in den sozialen Medien, »das Land aus der institutionellen Geiselhaft befreien und die Macht dem Volk zurückgeben«. In einem Interview im Fernsehsender »Ecuavisa« kritisierte Noboa die geltende Verfassung scharf: Sie bremse das Wirtschaftswachstum, halte Investoren fern und erschwere den Kampf gegen das organisierte Verbrechen. »Heute haben wir eine Verfassung, die nur den Kriminellen nützt – nicht den Menschen, die sich an die Regeln halten«, sagte er. Während die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung formal als demokratisches Instrument gilt – vergleichbar mit der von Rafael Correa im Jahr 2008 initiierten Verfassung, die unter anderem der Natur eigene Rechte zuschreibt –, sorgt die aktuelle Initiative für tiefe Spannungen.

Alberto Acosta, ehemaliger Präsident der Verfassunggebenden Versammlung, warnt vor einem gefährlichen Rückschritt. In einem Interview im »Mullu.TV« betonte er, die Verfassung von 2008 gefährde vor allem die Interessen der Eliten. Er wirft der Regierung vor, das verbreitete Unwissen über die Verfassung zu instrumentalisieren, um ihr Sicherheits- und Wirtschaftsprobleme anzulasten. »Die Verfassung ist ein Korsett für autoritäre Regierungen«, so Acosta. Sie sei demokratisch entstanden und ermögliche es marginalisierten Gruppen, ihre Rechte einzufordern – etwa den Schutz indigener Territorien.

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Auch Umweltschutzorganisationen wie Amazon Frontlines sehen in Noboas Reformplänen eine Gefahr. Sie befürchten, dass der Umbau der Verfassung den Weg für wirtschaftliche Interessen öffnen soll – insbesondere für die Ausbeutung von Rohstoffen in Schutzgebieten wie dem Yasuní-Nationalpark.

Bereits am 14. Juni 2025 legte die Regierung einen Gesetzesentwurf mit dem harmlos klingenden Titel »Gesetz zur Wiederherstellung geschützter Gebiete und zur Förderung lokaler Entwicklung« vor. Hinter dem Namen steckt jedoch ein heikles Vorhaben: Teile der Schutzgebiete sollen privatisiert und privaten Unternehmen überlassen werden – offiziell als Teil eines wirtschaftlichen »Wiederaufbauplans«.

Angriffe auf das Verfassungsgericht

Die politischen Spannungen um die verfassungsrechtliche Kontrolle des Landes konzentrieren sich zunehmend auf das Verfassungsgericht (Corte Constitucional). In den vergangenen Monaten setzte das Gericht mehrfach Gesetze der Regierung Noboa außer Kraft, weil sie gegen verfassungsmäßig garantierte Rechte verstießen – woraufhin der Präsident und seine Minister scharf zurückschlugen. Innenministerin Zaida Rovira warf dem Gericht vor, »den Bürgern die Werkzeuge genommen zu haben, um sich gegen Mafias, Drogenhändler und korrupte Netzwerke zu verteidigen«. Das Verfassungsgericht reagierte umgehend mit einer Erklärung. Es warnte davor, seine Kontrollfunktion über die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Entscheidungen zu schwächen. Eine Einschränkung dieser Rolle, so das Gericht, könne nicht nur Umwelt- und Naturschutz gefährden, sondern auch die Menschenrechte im Land.

Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter INREDH, die Menschenrechtsverstöße gegen Demonstrationen beobachten, sowie der Dachverband der indigenen Nationalitäten CONAIE teilen diese Sorge. Sie befürchten, dass sich die Repression gegen Regierungskritiker verschärfen könnte, sollte die Exekutive ihre Macht ausweiten und Institutionen wie das Verfassungsgericht umgehen.

Nach dem Ende des Generalstreiks kündigte CONAIE-Präsident Marlon Vargas an, man werde »in Verteidigung der Verfassung, der Demokratie und der erreichten Rechte eine breite und partizipative Bürgerbewegung starten«. Auch wenn die Demonstrationen nachlassen, bleibt die CONAIE unerschütterlich: Sie sagt weiterhin Nein zur Volksbefragung und verteidigt ihr Widerstandsprojekt als letzte Bastion.

2009 wurde in Ecuador die US-Militärbasis in Manta geschlossen, weil die Verfassung von 2008 ausländische Militärbasen untersagte. Der rechte Präsident Daniel Noboa will das wieder ändern.
2009 wurde in Ecuador die US-Militärbasis in Manta geschlossen, weil die Verfassung von 2008 ausländische Militärbasen untersagte. Der rechte Präsident Daniel Noboa will das wieder ändern.

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