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Hurrikan »Melissa«: Kubas Zivilschutz greift
Todesopfer bleiben beim Hurrikan »Melissa« aus, jedoch große Schäden
Bis zur Hüfte im trüben Wasser stehend, schiebt ein Bauer ein Brett auf der Wasseroberfläche vor sich her, auf dem durchnässt sein Hund liegt. Im Hintergrund ein baufälliges Holzhaus, das zusammenzubrechen droht. Daneben treibt eine Matratze im Wasser. Ein anderes Bild zeigt ein Haus, dessen Dach davongeweht wurde. Hurrikan »Melissa« ist am Mittwoch mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern und begleitet von heftigen Regenfällen über den Osten Kubas gefegt.
Fotos und Filmaufnahmen, die von Nutzer*innen und lokalen Journalist*innen in den sozialen Netzwerken geteilt wurden, zeigen ein gewaltiges Ausmaß an Zerstörung und Überschwemmungen. Zu sehen sind überflutete Straßen und ganze Ortschaften, Häuser, von denen nur noch das Dach aus dem Wasser ragt. Niederschläge von bis zu 450 Millimetern haben Bäche in reißende Flüsse verwandelt und Erdrutsche, Stromausfälle sowie Schäden an Häusern verursacht.
Kubas Osten wird schwer getroffen
Gebäude der Universidad de Oriente in Santiago de Cuba und das Krankenhaus »Juan Bruno Zayas« in Santiago wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen; ebenso die Wallfahrtsstätte El Cobre außerhalb Santiagos. Fotos vom Nationalheiligtum der Schutzpatronin Kubas, Nuestra Señora de la Caridad del Cobre, die zerbrochene Glasmalereien und Fenster sowie eine stark beschädigte Fassade der Kirche zeigen, haben landesweite Anteilnahme ausgelöst.
Bevor Hurrikan »Melissa« Kuba heimsuchte, hatte er als einer der stärksten je aufgezeichneten Wirbelstürme Jamaika überquert, wo er mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Stundenkilometern massive Schäden anrichtete. Besonders im Südwesten der Insel wurden umfangreiche Zerstörungen gemeldet. Die Behörden registrierten zahlreiche überflutete Straßen und Brücken und unzählige zerstörte Häuser. Laut der Nachrichtenagentur AFP wurden nach Angaben von Informationsministerin Dana Morris Dixon vom Donnerstagabend (Ortszeit) in Jamaika 19 Todesopfer bestätigt. In Haiti wurden 30 Tote gezählt. Mittlerweile steuert »Melissa« auf die Bermuda-Inseln zu.
Auf Kuba wurden bislang keine Todesopfer oder Vermisste infolge des Hurrikans gemeldet. Der kubanische Katastrophenschutz funktioniert trotz aller Probleme des Landes weiterhin ausgezeichnet. Mehr als 735 000 Menschen, acht Prozent der Gesamtbevölkerung, wurden in den Provinzen Guantánamo, Santiago de Cuba, Granma, Holguín und Las Tunas im Vorfeld evakuiert und in Notunterkünften untergebracht. In Havanna waren die Auswirkungen des Sturms dagegen kaum zu spüren. Es gab lediglich längere Stromabschaltungen als gewöhnlich, da die Wärmekraftwerke im Osten der Insel vorsorglich abgeschaltet wurden. Dort sind Hunderttausende seit Dienstagnacht ohne Stromversorgung.
Überflutungen, Erdrutsche und umgefallene Bäume
Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel besuchte am Donnerstag die vom Hurrikan betroffenen Gebiete. Ganze Landstriche wurden dort verwüstet. Zurück blieben zerstörte Häuser und Geschäfte, abgedeckte Dächer, überflutete und mit Bäumen übersäte Straßen, umgeknickte Strommasten sowie überall verstreute Trümmer. In den betroffenen Provinzen wurden zum Teil 80 bis 90 Prozent aller Sendemasten beschädigt oder zerstört.
Viele Regionen sind auch am Tag nach dem Wirbelsturm nicht telefonisch erreichbar; Überflutungen, Erdrutsche und umgefallene Bäume verhindern den Zugang zu abgelegenen Ortschaften. In den Provinzen Granma und Holguín wurden fast 100 Menschen gerettet, darunter Kinder, nachdem sie von einem über die Ufer getretenen Fluss eingeschlossen worden waren, teilten die lokalen Behörden am Donnerstag mit. Viele Familien haben durch die schweren Überschwemmungen ihr Zuhause verloren. »Wir sind am Leben. Unser Sieg ist das Leben«, zog Díaz-Canel Bilanz.
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Das gesamte Ausmaß der Schäden dürfte erst in den kommenden Tagen deutlich werden. Klar ist, die Naturgewalt hat Kuba in einem äußerst schwierigen Moment getroffen. Die Auswirkungen des Hurrikans verschärfen die Lage des Landes, das mit einer tiefen Wirtschafts- und Energiekrise, anhaltenden Stromausfällen, Versorgungsengpässen bei Treibstoff, Lebensmitteln und Medikamenten sowie einer starken Ausbreitung von Oropouche-, Dengue- und Chikungunya-Fieber zu kämpfen hat. Der Wiederaufbau dürfte lange dauern und Ressourcen verlangen, die das Land alleine nicht aufbringen kann.
Große Spenden und Hilfsbereitschaft
Die Vereinten Nationen, staatliche Institutionen, aber auch zahlreiche private Initiativen auf der Insel haben zu Spenden aufgerufen. Es wird alles gebraucht: Lebensmittel, Kleidung, Matratzen, Haushaltswaren, Dachdeckmaterialien, Trinkwasseraufbereitungsanlagen, Notstromaggregate. In der Bevölkerung gibt es eine große Welle der Hilfsbereitschaft.
Ein Hilfsangebot kam auch aus Washington, nachdem sich die Vertreter der USA und Kubas vor der Abstimmung über die von Havanna eingebrachte Resolution zur Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba am Mittwoch in der UN-Generalversammlung noch hart angegangen hatten. Trotz einer massiven Kampagne Washingtons im Vorfeld stimmte eine überwältigende Mehrheit von 165 Ländern, darunter Deutschland, für die Resolution. Sieben Länder (USA, Israel, Ukraine, Nordmazedonien, Argentinien, Ungarn und Paraguay) votierten dagegen; zwölf Staaten enthielten sich.
Am Donnerstag erklärte US-Außenminister Marco Rubio auf der Plattform X, die Vereinigten Staaten seien bereit, den vom Hurrikan »Melissa« betroffenen Menschen in Kuba humanitäre Hilfe zu leisten. Das State Department sei bereit, sofortige Hilfe direkt und über lokale Partner zu leisten, so Rubio in einer Stellungnahme, der jedoch keine Details darüber bekannt gab, wie diese Hilfe mit der Regierung in Havanna koordiniert werden soll.
Kuba habe Kontakt zum US-Außenministerium aufgenommen und warte nun auf Einzelheiten über Art und Umfang der Hilfe, die Washington angekündigt habe, teilte der stellvertretende kubanische Außenminister Carlos Fernández de Cossío kurz darauf mit. »Aufgrund der heutigen öffentlichen Mitteilungen über die Schäden durch den Hurrikan haben wir Kontakt zum Außenministerium aufgenommen und warten nun auf genaue Angaben darüber, wie und in welcher Form sie bereit sind, zu helfen«, schrieb er auf X.
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