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Merz buhlt um Erdoğans Gunst
Bundeskanzler sichert türkischem Präsidenten in Ankara Unterstützung für EU-Mitgliedschaft seines Landes zu
Friedrich Merz hat in Ankara betont, er wolle die strategische Partnerschaft mit der Türkei ausbauen. Am Donnerstag war der Bundeskanzler zu seinem Antrittsbesuch in Ankara eingetroffen und dort mit militärischen Ehren von Präsident Recep Tayyip Erdoğan empfangen worden.
»Wir gehen in eine neue geopolitische Phase, die von der Politik großer Mächte geprägt wird«, erklärte Merz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdoğan am Donnerstag. »Als Deutscher und als Europäer« sei für ihn die Schlussfolgerung daraus, die strategischen Partnerschaften auszubauen, also vorrangig auch die mit der Türkei. Konkret bedeutet dies stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit, vor allem im Bereich der Rüstungsindustrie. Auch in die Verkehrsinfrastruktur, insbesondere den Schienenverkehr, wolle Deutschland investieren, kündigte der deutsche Regierungschef an. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit sei »ein zwingendes Gebot der Vernunft«, so der Kanzler.
Kommentar zum Thema: Es lebe die militärisch-wirtschaftliche Kooperation – Svenja Huck über den Besuch von Merz in der Türkei
Er sicherte Erdoğan deutsche Unterstützung zudem bei der angestrebten EU-Mitgliedschaft seines Landes zu. »Ich sehe persönlich und die Bundesregierung sieht die Türkei eng an der Seite der Europäischen Union. Wir wollen den Weg nach Europa weiter ebnen.« Von türkischen Analysten wurde das als neue Tonlage bei dem Thema gewertet. Merz wies aber zugleich auf die Kopenhagener Kriterien für eine Aufnahme in die EU hin, die unter anderem die Aufrechterhaltung von Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte vorsehen.
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Wenn Merz sagt, er wolle die Türkei nah bei der EU sehen, meint er damit nicht etwa erleichterte Reisemöglichkeiten für Türk*innen in den Schengenraum. Es geht vielmehr um die Einbindung der Türkei in den europäischen Verteidigungsraum. In Ankara und Berlin wisse man: »Russlands militanter Revisionismus gefährdet die euro-atlantische Sicherheit im Ganzen«, so Merz. Er begrüßte in diesem Zusammenhang den Verkauf von Eurofighter-Kampfflugzeugen an die Türkei.
Die Türkei ist als Nato-Mitglied und langjähriger EU-Beitrittskandidat eng mit dem Westen verbunden. Sie hat sich jedoch auch als Regionalmacht etabliert und spielt eine wichtige Rolle im Nahen Osten. Gleichzeitig ist sie ein wichtiger Teil der Lieferkette deutscher Unternehmen. Sie setzt jedoch auch zunehmend auf technologische Kooperationen mit China. Beim Besuch des Kanzlers ging es mithin auch darum, die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der Türkei und der EU, insbesondere Deutschlands, zu stärken und möglicher Konkurrenz zuvorzukommen.
Für seinen Besuch wählte Merz den 30. Oktober bewusst: Es war der 64. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens. Dieses ist der wichtigste Grund dafür, dass heute fast drei Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland leben. Von dieser besonderen Verbindung würden beide Länder profitieren, sagte Merz. Dabei betonte er insbesondere die Leistungen türkischstämmiger Unternehmer in Deutschland und nannte unter anderem die Gründer des Pharma-Unternehmens Biontech, Uğur Şahin und Özlem Türeci, die durch Entwicklung und Produktion von Corona-Impfstoffen zu Milliardären wurden.
»Ich sehe persönlich und die Bundesregierung sieht die Türkei eng an der Seite der Europäischen Union. Wir wollen den Weg nach Europa weiter ebnen.«
Friedrich Merz Bundeskanzler
Ein weiterer wichtiger Grund für die Reise von Merz: Er will die Kooperation beim Thema Migration intensivieren. Konkret will er die Zahl von Abschiebungen in das Land weiter erhöhen. Stolz verkündete der Kanzler, dass in diesem Jahr bereits mehr Rückführungen durchgeführt werden konnten als im gesamten Jahr 2024. Man wolle jedoch »noch besser werden«. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flucht (Bamf) wurden allein von Januar bis Mai 2025 von rund 30 000 Asylanträgen türkischer Staatsbürger mehr als 22 000 abgelehnt. Nach Syrien und Afghanistan folgt die Türkei auf Platz drei der Länder mit den meisten Asylbewerber*innen in Deutschland.
In den türkischen Medien wird der Besuch des Bundeskanzlers als ein Zeichen der Anerkennung präsentiert. Die regierungsnahe Zeitung »Sabah« titelte am Freitag: »Deutschland braucht die Türkei.« Diese öffentliche Anerkennung wird der AKP-Regierung sicherlich gefallen und sie auch in ihrem innenpolitischen Kurs stärken.
Auf die kritische Nachfrage eines deutschen Journalisten zur Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu antwortete Erdoğan, die Justiz tue lediglich das Notwendige, um Korruption und Diebstahl zu bekämpfen. İmamoğlu war im März wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet und abgesetzt worden. Er sitzt seitdem ohne Anklage in Untersuchungshaft. Kurz vor dem Besuch des Bundeskanzlers war bekanntgeworden, dass gegen den Politiker der größten Oppositionspartei CHP erneut ein Haftbefehl wegen Spionage erlassen wurde. İmamoğlus Festnahme hatte die größte Protestwelle in der Türkei seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 ausgelöst.
Die Linke-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel kritisierte die Zusammenkunft von Merz und Erdoğan als »Spitzentreffen der Doppelmoral«. Wenig sei zu erwarten gewesen, »außer, dass Erdoğan erneut Rückendeckung für seine autoritäre Politik gegen die Opposition erhält und ein weiterer Tag schmutziger (geo-)politischer Deals bevorsteht«.
Demirel sieht in dem Besuch des Kanzlers auch den Versuch Deutschlands, die eigene geopolitische Stärke bei der Neuordnung des Nahen Ostens zu festigen. »Während die USA und Großbritannien längst fest am Verhandlungstisch sitzen, versuchen Berlin und Brüssel nun, ihren Platz durch fragwürdige Deals und strategische Zugeständnisse zu sichern«, so die Einschätzung der Linke-Politikerin. Erdoğan wiederum nutze zwar eine »antiimperialistische Rhetorik«, sei jedoch stets bereit, Land, Ressourcen und Einfluss zur Sicherung der eigenen Macht zu verkaufen, so Demirel. Sie attestiert den Politikern, ein »zynisches Machtspiel« zu betreiben, bei dem »beide Seiten Werte und Prinzipien predigen, die sie im selben Atemzug verraten«.
Beim Thema Nahost kam es indes zum offenen Schlagabtausch zwischen Kanzler und Präsident. Nachdem Merz einmal mehr Israels Vorgehen in Gaza verteidigt hatte, widersprach Erdoğan und warf dem Land erneut »Völkermord« vor. Israel habe dort trotz des Waffenstillstands wieder Ziele angegriffen. Merz hatte auf die Frage eines türkischen Journalisten erklärt: »Israel hat von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht und es hätte nur einer einzigen Entscheidung bedurft, um auch die zahllosen unnötigen Opfer zu vermeiden«: Hätte die Hamas die israelischen Geiseln früher freigelassen und die Waffen niedergelegt, »wäre dieser Krieg sofort zu Ende gewesen«, so Merz.
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