Kino in Russland: Untergang im Propaganda­sumpf

Russlands Kino leidet unter der zunehmenden Ideolo­gi­sierung durch den Ukraine-Krieg

  • Roland Bathon
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Neuinterpretation von »Der Meister und Margarita« ist der erfolgreichste russische Film seit Kriegsbeginn. Auch, weil er vor der Invasion gedreht wurde.
Die Neuinterpretation von »Der Meister und Margarita« ist der erfolgreichste russische Film seit Kriegsbeginn. Auch, weil er vor der Invasion gedreht wurde.

Über 20 Jahre lang verband der postsowjetische russische Film erfolgreich westliche Dramaturgie mit einer eigenständigen russischen Themenwelt. Während anspruchsvolle Autorenfilme auf internationalen Festivals Erfolge feierten, kamen Produktionen für das Massenpublikum am Ende zunehmend nicht ohne nationales Pathos aus, trafen jedoch oft den Geschmack der Zuschauer.

Als russische Truppen 2022 ihre Invasion in der Ukraine starteten, schien darin auch eine Chance für die russische Filmproduktion zu liegen. Die – wie in Europa – mächtigste ausländische Konkurrenz aus Hollywood erklärte einen vollständigen Boykott. Ab wann und in welchem Umfang Blockbuster aus der Traumfabrik jemals wieder in Russland zu sehen sein werden, abseits von Raubkopien, ist bis heute unklar.

Hollywood-Boykott kann nicht genutzt werden

Doch die russische Filmindustrie schaffte es nicht, die entstandene Lücke zu füllen. Die Besucherzahlen der Kinos sanken rapide. Um die Mindereinnahmen auszugleichen, erhöhten die Betreiber die Ticketpreise und beschleunigten damit den Besucherschwund. Im Februar 2025 meldete die Tageszeitung »Kommersant« bei den Kinogängern einen Rückgang gegenüber 2024 um 20 Prozent, obwohl die Besucherzahlen bereits im Vorjahr nur noch gut die Hälfte des Vor-Corona-Niveaus erreicht hatten.

Nicht nur die Kinos in Russland verzeichnen einen Niedergang. »Russische Filme sind im Ausland zunehmend auf dem Rückzug«, meldete zu Jahresbeginn die »Moscow Times«. Gegenüber 2019 sei deren Erfolg an ausländischen Kinokassen auf ein Drittel gesunken. Nur Animationsprojekte für junge Zuschauer verhindern einen noch größeren Einbruch.

Ideologische Vorgaben schränken Spielraum ein

Ursache für den Niedergang des russischen Films der letzten Jahre sind nicht nur zunehmende Zensur und ideologische Vorgaben, die den Spielraum der Kreativen im Land einschränken. Auch die staatliche Filmförderung geht mehr und mehr am Geschmack des Publikums vorbei. Mit einem Budget von umgerechnet über zwei Millionen Euro versuchte die Propagandaproduktion über den Ukraine-Krieg »Der einzige Zeuge« an erfolgreiche patriotisch-russische Vorkriegsfilme anzuknüpfen. Das Ergebnis war ein Fiasko. Weniger als 20 000 Zuschauer fanden in den ersten vier Tagen den Weg in die Kinos. Das waren im Schnitt vier Besucher pro Vorführung.

Ähnlich erging es nun im Herbst dem ultrakonservativ-ideologischen Machwerk »Toleranz«, das vor allem liberale westliche Werte infrage stellen soll. Mit umgerechnet mindestens zwei Millionen Euro wurde der Streifen von russischen Ministerien gefördert. Durchschnittlich drei Zuschauer verzeichneten die jeweiligen Vorstellungen an den ersten Tagen. Nach zwei Wochenenden wurden 118 Zuschauer gezählt.

Millionenförderung für »traditionelle Werte«

Dennoch wurden 2025 umgerechnet über 45 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt für die Produktion von Filmen über »traditionelle spirituelle und moralische Werte« oder »den Heldenmut der Teilnehmer an der militärischen Sonderoperation« bereitgestellt. Dabei offenbart gerade eine Liste der zuletzt erfolgreichsten Filme in Russland, dass das Interesse des Publikums in eine ganz andere Richtung geht.

Die beiden erfolgreichsten Filme 2025, »Der Zauberer der Smaragdenstadt« und »Finis«, sind Fantasy-Produktionen, und bereits 2024 stammten zwei der erfolgreichsten Produktionen der Top 5 aus diesem Segment. Gewachsen ist in dieser Zeit eines realen Krieges mit immer mehr Opfern vor allem der Drang der Russen, im Kino durch das Eintauchen in eine andere Welt der traurigen Realität zu entfliehen.

Der Raum für Erlaubtes wird immer enger

Etwas aus dem Rahmen fiel 2024 das sehr erfolgreiche mystische Drama »Der Meister und Margarita« rund um den Schriftsteller Michail Bulgakow. Es verdankt sein Erscheinen vor allem der weitgehend fertigen Produktion zum Kriegsausbruch. Nationalistische Aktivisten fanden die darin durchscheinende Antikriegshandlung skandalös, doch der Film war einfach hochwertig. Regisseur Michael Lockshin hatte das Land bereits vor Kriegsausbruch verlassen.

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Der russische Kulturkritiker Andrej Archangelskij sieht in der Onlinezeitung »The Insider« das Desinteresse des russischen Publikums am ideologischen Kino als Folge des Systems Putins selbst. Das Regime habe Jahrzehnte von den Bürgern keine Zustimmung erwartet, nur Gehorsam und Nichtteilnahme an jeder Opposition. Die Rolle des Kinos sei es nicht gewesen, »Siege zu feiern oder Feinde zu verfluchen, sondern eine parallele Realität zu schaffen«.

Im inzwischen monotonen Korridor des Erlaubten lasse seiner Meinung nach die Leistung sowohl der Schauspieler als auch der Regisseure nach. Drehbücher würden von zahlreichen Autoren ohne ausreichende Abstimmung glattgebügelt – Archangelskij sieht den russischen Film am Boden wie nie zuvor. Niemand wisse, was bald tabu sein könne. Hoffnung für das Kino Russlands hat der Kritiker erst wieder für eine Zeit nach der Lockerung der Zensur. Eine Zeit, in der man sich auch mit dem Ukraine-Krieg wird differenzierter auseinandersetzen müssen.

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