Fortgesetzte Mangelwirtschaft

Auch im kommenden Schuljahr werden in Berlin wieder vielerorts Lehrkräfte fehlen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Folgt man CDU-Landeschef und -Spitzenkandidat Kai Wegner, rasselt Berlin sehenden Auges in einen verkorksten Schulstart. Bis dahin sind es zwar noch zweieinhalb Wochen. Trotzdem, sagt Wegner zu »nd«: »Wir hatten eigentlich zu Beginn jedes Schuljahres Chaos. Aber in diesem Jahr mache ich mir noch mehr Sorgen, das auch mit Blick auf den Lehrkräftemangel.«

Wie groß das alljährlich wiederkehrende Problem mit den fehlenden Lehrkräften diesmal sein wird, lässt sich aktuell nicht beziffern. Klar ist, dass im offiziell noch nicht beendeten Schuljahr 2020/2021 über 3400 der insgesamt 33.400 Berliner Lehrkräfte den Schuldienst verlassen werden. Das entspricht fast 1700 sogenannten Vollzeiteinheiten. Zahlreiche Lehrkräfte werden dabei altersbedingt in den Ruhestand versetzt, zahlreiche haben von sich aus gekündigt. Bekannt ist auch, dass die Bildungsverwaltung zum Start des kommenden Schuljahres 2440 Vollzeiteinheiten neu besetzt haben will. Einen Überblick über den derzeitigen Stand bei den Neueinstellungen hat die Bildungsverwaltung nach eigener Auskunft gleichwohl nicht. »Die Einstellungsverfahren laufen auf Hochtouren, deshalb ändert sich die Zahl auch täglich«, sagt Sprecher Martin Klesmann zu »nd«. Es bestehe also kein Grund zur Panik.

Das will nicht nur CDU-Wahlkämpfer Kai Wegner anders sehen. Auch Philipp Dehne von der Berliner Kampagne »Schule muss anders« kann dem Optimismus aus dem Haus von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wenig abgewinnen. »Dass die Senatsbildungsverwaltung 2440 Stellen besetzen will, ist ja schön. Aber damit schreibt sie nur das bisherige Mangelsystem fort. Für eine gute Schule braucht man ganz andere Zumessungen«, sagt Dehne zu »nd«.

Die Berliner Eltern, Schüler, Lehrkräfte, Sozialarbeiter und Erzieher, die die Kampagne »Schule muss anders« im Frühjahr dieses Jahres ins Leben gerufen haben, fordern - als Teil eines ganzen Maßnahmenpakets - unter anderem die Einstellung von 3000 Lehrkräften im Jahr. »Es braucht weniger Druck im System, mehr Zeit für Beziehungsarbeit, nicht zuletzt für Schulen in besonders herausfordernder Lage«, sagt Dehne. Die 3000 Lehrkräfte seien dabei keineswegs eine Maximalforderung: »Für die Notwendigkeit, die Klassenstärken an allen Schulen zu verringern, müssten wir noch mehr Lehrkräfte ausbilden.«

In der Bildungsverwaltung sieht man mit Blick auf die Forderungen von »Schule muss anders« kaum Handlungsspielraum. »Es herrscht ein bundesweiter, ja sogar ein europaweiter Lehrermangel«, so Sprecher Martin Klesmann.

Um dem Problem in der Hauptstadt beizukommen, pocht die Berliner CDU im Wahlkampf zum wiederholten Mal auf eine simple Lösung: »Wir müssen wieder verbeamten. Dadurch wird der Beruf wieder attraktiver«, sagt CDU-Chef Kai Wegner. 2004 hatte Berlin die Verbeamtung von Lehrkräften abgeschafft. Das seinerzeitige Hauptargument: die Finanzen, um die es bekanntlich schlecht bestellt war. Eigentlich hatte man in Berlin gehofft, dass andere Bundesländer nachziehen. Doch das große Echo blieb aus. Nur Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen schlossen sich an, sind aber längst zur Verbeamtung zurückgekehrt.

Ein Unding, findet nicht nur Wegner. Auch die wahlkämpfende SPD-Landeschefin und -Spitzenkandidatin Franziska Giffey hatte hier jüngst für einen Kurswechsel plädiert. Giffey liegt damit auf einer Linie mit Noch-Bildungssenatorin Scheeres, die sich seit Jahren für die Rückkehr zur Verbeamtung ausspricht. Freilich war die SPD-Politikerin mit dieser Idee bisher nicht nur in ihrer eigenen Partei auf Widerspruch gestoßen, sondern verlässlich auch an den Koalitionspartnern und hier vor allem der Linken gescheitert.

Die Linke bleibt bis heute bei ihrer Haltung: »Wir halten nichts von der Verbeamtung. Was wir brauchen, sind bessere Arbeitsbedingungen«, sagt Regina Kittler, die Bildungsexpertin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Eine Forderung, mit der sie bei Philipp Dehne von »Schule muss anders« offene Türen einrennt. Dehne hält die von SPD und CDU neuerlich angeschobene Verbeamtungsdiskussion für »eine reine Nebelkerze«. Die Frage sei doch: »Wie schaffen wir an allen Schulen gute Lern- und Arbeitsbedingungen? Das wird mit der Verbeamtungsdiskussion nicht beantwortet.«

Wie Martin Klesmann von der Bildungsverwaltung verweist auch Dehne darauf, dass andere Bundesländer wie Sachsen und Nordrhein-Westfalen ebenfalls unter Lehrkräftemangel ächzen. »Und hier wird verbeamtet, das löst das Problem also ganz offenkundig nicht.« Dehne wundert sich, warum die Verbeamtungsfraktion die aus seiner Sicht einzig naheliegende Lösung ignoriert: Wer vermehrt pädagogische Fachkräfte einstellen will, müsse erst einmal in die Ausbildung investieren. »Es ist ja richtig: Wir können uns die Lehrkräfte nicht backen, aber wir können sie ausbilden. Und damit müssen wir jetzt anfangen.«

Nun haben sich SPD-Spitzenkandidatin Giffey und ihr CDU-Konkurrent Wegner darauf versteift, dass Berlin vor allem deshalb Lehrkräfte fehlen, weil diese abwandern, ja flüchten, bevorzugt ins Verbeamtungsparadies Brandenburg. Auch dieses Argument kann Bildungsaktivist Dehne nicht mehr hören: »Es gibt dazu keinerlei Zahlen, aber jeder kennt Anekdoten, warum jemand nach dem Studium nicht in Berlin geblieben ist oder als Lehrkraft in ein anderes Bundesland gewechselt ist. Oft sind das persönliche Gründe oder die Berliner Bildungsmisere.« Für Dehne steht vielmehr fest: Um alle anderen Lehrkräfte zu halten, müssten die Arbeitsbedingungen grundlegend und auf allen Ebenen verbessert werden. »Und übrigens ist auch den Schülerinnen und Schülern mit einer Verbeamtung ihrer Lehrkräfte nicht geholfen.«

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