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Castillo übernimmt Zepter in Peru

Linker Dorfschullehrer findet als Präsident ohne Parlamentsmehrheit schwierige Verhältnisse vor

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 5 Min.

Die meisten der Anhänger von Pedro Castillo haben ihre Zelte vor dem nationalen Wahlgericht in Lima wieder abgebrochen. Gekommen waren sie aus allen Landesteilen, um mit ihrer Präsenz dafür zu sorgen, dass ihr Kandidat auf den letzten Metern vor dem Einzug in den Präsidentenpalast in der Altstadt von Lima nicht noch zu Fall gebracht wird. Sieben Wochen nach der Stichwahl vom 7. Juni hat das Wahlgericht am 20. Juli alle Klagen der unterlegenen ultrarechten Kandidatin Keiko Fujimori als unbegründet abgelehnt und den linken Pedro Castillo zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt.

Am 28. Juli wird Pedro Castillo offiziell vereidigt und Nachfolger des Interimspräsidenten Francisco Sagasti. Der manövrierte das polarisierte Land seit dem 17. November durch die schwelende politische Krise. Sagasti war nach Pedro Pablo Kuczynski und Martín Vizcarra der dritte Präsident Perus innerhalb einer Legislaturperiode. Letztere beide mussten ihr Amt zur Verfügung stellen, weil ihnen Korruptionsvorwürfe zum Verhängnis wurden - in einem Parlament, in dem sie keine Mehrheit hinter sich hatten.

Auch Pedro Castillo, der das parlamentarische Establishment bereits mehrfach zur Zusammenarbeit aufforderte, »um das Land nach vorne zu bringen«, trifft auf ein Parlament, in dem er sich nicht auf eine Mehrheit stützen kann. »Er muss Allianzen schmieden, um Mehrheiten werben in einem stark polarisierten Land und in einem Parlament, wo sich die konservative Mehrheit bereits parteiübergreifend organisiert hat«, so Jaime Borda, Koordinator der bergbaukritischen Entwicklungsorganisation Red Muqui. 76 der 130 Abgeordneten gehören derzeit der Opposition an, die von Keiko Fujimoris rechtskonservativer Fuerza Popular und der Renovación Popular um den ultrarechten Rafael López Aliaga dominiert wird. Eine Konstellation, die es Castillo »schwer machen wird, seine politische Agenda durchzusetzen«, prognostiziert der Politikwissenschaftler Borda.

Castillo hat sich ambitionierte Ziele gesetzt. Die Pandemie habe gezeigt, wie prekär und unsicher dieser alte und korrupte Staat sei. Mit offiziell bisher 195 890 Toten bei mehr als 2,1 Millionen Infizierten hat das Land im Verhältnis zur Bevölkerung die höchste Corona-Todesquote weltweit. Das ineffiziente und unterfinanzierte Gesundheitssystem ist in vielen Regionen des Landes faktisch kollabiert, es fehlt immer wieder an Sauerstoff.

Vor allem auf dem Land ist die medizinische Grundversorgung nur rudimentär vorhanden. Das liegt auch daran, dass es kein einheitliches, sondern ein segmentiertes Gesundheitssystem gebe, so der Entwicklungsexperte Carlos Herz. »Armee und Polizei haben eigene Gesundheitseinrichtungen, es gibt ein privates System, eines für die Ärmsten und eines für die Allgemeinheit«, kritisiert der 62-Jährige, der in der Inkastadt Cusco eine Bildungseinrichtung leitet.

Die Reform des Gesundheits- und des Bildungssystems stehe ganz oben auf der Agenda des neuen Präsidenten, der kaum parteipolitische Erfahrung hat. Stattdessen war er lange in der Lehrergewerkschaft SUTEP aktiv. Er kennt die Defizite des Bildungssystems aus eigener Anschauung.

Castillo ist jedoch in der eigenen Partei, Perú Libre, nur ein Nachrücker. Er wurde zum Präsidentschaftskandidaten, weil deren Vorsitzender und Gründer, Vladimir Cerrón, wegen seiner Verurteilung in einem Korruptionsverfahren nicht selbst antreten konnte. Die 37 Abgeordneten von Perú Libre stehen nicht geschlossen hinter ihm, sondern zum Teil hinter dem Vorsitzenden Cerrón. Der hat sich immer wieder solidarisch mit den autoritären Regierungen in Venezuela, aber auch Nicaragua gezeigt, weshalb auch Castillo immer wieder unterstellt wird, ein linksautoritäres Modell zu verfolgen, so der investigative peruanische Journalist Gustavo Gorriti. »Wir sind keine Kommunisten, wir sind keine Chávez-Anhänger, wir sind Arbeiter, Kämpfer, Unternehmer«, erklärte Castillo mehrfach, um sich abzugrenzen.

Castillo hat in den vergangenen Monaten versucht, linke und gemäßigte Politiker hinter sich zu versammeln. Mehrere von ihnen gelten als potenzielle Kandidaten für sein Kabinett. Darunter auch die ehemalige linke Präsidentschaftskandidatin Verónica Mendoza vom Wahlbündnis Gemeinsam für Peru und Pedro Francke, der Wirtschaftsberater Castillos. Francke, ein in Peru ausgebildeter Ökonom, hat in den vergangenen Wochen Abstand von Verstaatlichungen genommen, wie sie im Parteiprogramm von Perú Libre skizziert sind. Er gilt als der kommende Wirtschaftsminister der Regierung Castillo.

Allerdings haben weder Mendoza noch Francke breite Unterstützung in Perú Libre, und deren marxistischer Vorsitzender liebäugelt ebenfalls mit dem überaus wichtigen Posten im Wirtschaftsministerium. Diese komplexe Situation hat mutmaßlich dazu geführt, dass Pedro Castillo sein Kabinett nicht vor, sondern erst nach seiner Vereidigung vorstellen wird.

Die Erwartungen von Castillos Wählern sind hoch. Gegen das umstrittene Kupferförderprojekt Tía María in der Region Arequipa soll der Präsident aktiv werden, weil es dem nahe gelegenen fruchtbaren Valle de Tambo und den dort lebenden Kleinbauern buchstäblich das Wasser abdrehen könnte. Auch der Impfkampagne, die auf dem Land nur langsam vorankommt, soll er mehr Dynamik verleihen. Zu guter Letzt soll er auch sein größtes Projekt - die Verfassungsreform -, auf den Weg bringen. Gerade für die laut Experten überfällige Reform, die die Rechte der indigenen Bevölkerung stärken soll, aber auch die Kompetenzen des Parlaments beschneiden könnte, braucht Castillo mehr als einfache Mehrheiten. Die zu beschaffen dürfte schwierig werden.

Viele Parlamentarier haben aus Eigennutz wenig Interesse an einem starken Präsidenten, der gegen die unter den Abgeordneten weitverbreitete Korruption eintritt. Castillo hat dieses Vorhaben angekündigt. »Die schwelende politische Krise ist mit der Wahl Castillos nicht vorbei«, meint Jaime Borda. Aus seiner Sicht könnte sie um ein Kapitel reicher werden, denn der politische Spielraum des Dorflehrers im Präsidentenpalast ist begrenzt.

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