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  • Jüdisches Museum Berlin

Leise Stimmen aus Lautsprechern

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin erinnert an Opfer rechter Gewalt in Deutschland in den letzten 40 Jahren

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

Leise Stimmen sorgen dafür, dass die Menschen, die den eher versteckten, abgelegenen Raum im Jüdischen Museum in Berlin betreten, ihre Ohren spitzen, sehr genau zuhören. Das ist Absicht, gewollt von der in den USA geborenen Medienkünstlerin Talya Feldmann, die schon in vielen Museen in aller Welt ihre Arbeiten gezeigt hat und derzeit in Hamburg arbeitet. Sie hat über 18 »Lautsprecher« an einen Gerüstnetz aufgehängt und mit Smartphones verbunden. Zu Wort kommen Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen vier Jahrzehnten, ebenso deren Angehörige und Freunde.

Erinnert wird unter anderem an einen Fall aus der DDR, der ungeklärte Tod der beiden kubanischen Vertragsarbeiter Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret am 12. August 1979 in Merseburg. Nach einer Auseinandersetzung mit Jugendlichen in der Diskothek »Saaletal« wurden die zwei durch die Stadt gejagt und später tot im Fluss, in der Saale, aufgefunden. Die Initiative »12. August« hat den weitgehend vergessenen Fall bekannt gemacht und mit den Angehörigen der beiden in Kuba Kontakt aufgenommen; sie fordert seit Jahren einen Gedenkort. Im bayerischen Erlangen kamen am 19. Dezember 1980 der jüdische Rabbiner Shlomo Levin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke ums Leben. Eine eindeutig antisemitische Straftat. Die beiden engagierten Antifaschisten sind von einem Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann ermordet worden. Lange Zeit ist jedoch im Umfeld des gemeuchelten Paares ermittelt worden. Das erinnert an die unseligen, die Öffentlichkeit irreführenden und die Opfer nachträglich verhöhnenden Ermittlungen bei den NSU-Morden. In der Ausstellung erinnern sich deren Angehörige an den perfiden Umgang mit ihnen seitens staatlicher Behörden, die es ermöglichte, dass das neonazistische Trio ungehindert weiter morden konnte.

Ibrahim Arslan überlebte als Kind schwerverletzt den rassistischen Brandanschlag auf das Wohnhaus seiner Familie 1992 in Mölln. Mehrere seiner Verwandten kamen ums Leben. Die jugendlichen Neonazis, die den Anschlag verübten, sind längst wieder auf freien Fuß. Arslan hat sich den Kampf gegen Rassismus zur Lebensaufgabe gemacht. »Wir sind die Hauptzeugen des Geschehenen«, sagt er in der Ausstellung. Das gilt für alle Menschen, die hieer ihre >Geschichte erzählen. Der Titel der Ausstellung - »The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts«, was mit »Die Gewalt, die wir erfahren haben, lastet schwer auf unseren Herzen« übersetzt werden kann - zitiert einen Überlebenden rassistischer Gewalt.

Auch die Kuratorin, die Künstlerin Talya Feldmann, ist Opfer eines antisemitischen Anschlags geworden. Sie war am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle, als ein Neonazi dort ein Massaker verüben wollte. Weil die schwere Holztür standhielt, ermordete er zwei Passant*innen, die zufällig vorbeikamen. Der rechtsradikale Attentäter sorgte für Schlagzeilen, war in aller Munde. Typisch für die hiesige Medienlandschaft. Obwohl immer wieder zu Recht beklagt wird, dass nach rassistischen Anschlägen viel über die Täter geredet und gerätselt wird und die Opfer dabei in den Hintergrund geraten. Talya Feldmann hingegen gibt mit ihrer Installation den Opfern eine Stimme. Das Gedenken an sie versteht sie als ihren Beitrag zum Kampf gegen rechten Terror. »In der Vorstellung, ein Opfer sei schwach, passiv, werden die Stimmen der Opfer so oft beiseitegeschoben und in den Erzählungen ausgelassen. Dass ist absurd«, sagt Talya Feldmann. Sie hofft, dass die Besucher*innen der Ausstellung Zeit mitbringen und ernsthaft zuhören, was die Opfer zu sagen haben.

Für ihre Installation hat Talya Feldmann den Dagesh-Kunstpreis für politisch engagierte Interventionen erhalten. Überraschend und bedauerlicherweise gibt es jedoch weder vor noch im Jüdischen Museum einen speziellen Hinweise auf ihre Exposition. Man stößt eher zufällig auf den Raum, in dem sie sich befindet, weshalb denn auch der Rezensent erst jetzt auf die nur noch bis zum 1. August zu sehende Installation aufmerksam wurde. Es wäre zu wünschen, wenn die kleine, aber feine, wichtige Ausstellung demnächst noch in anderen Städten gezeigt beziehungsweise erhört werden kann.

»The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts«, Jüdisches Museums Berlin, bis 1. August, geöffnet von 10 bis 20 Uhr

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