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Zuckerbrot und Peitsche

Enteignungs-Volksbegehren soll Vehikel für Verhandlungen werden

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich persönlich werde mit ›Ja‹ stimmen, obwohl Vergesellschaftungen für mich Ultima Ratio sind.« Das sagt die Berliner Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Sie könne nur für sich sprechen, da es bei den Grünen-Mitgliedern unterschiedliche Ansichten dazu gebe. »Wie in jeder Partei«, betont sie. Ihre Partei verstehe den anstehenden Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen als Auftrag, erklärt sie. Mehr als die Hälfte des Wohnungsmarktes der Hauptstadt soll in gemeinwohlorientierte Hände kommen, so das Ziel der Grünen. Derzeit liegt der Anteil, landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften zusammengenommen, bei etwa einem Viertel. Vorbild sei hier Wien, wo die öffentliche Hand durch den hohen Marktanteil eine »echte Marktmacht« habe, so Jarasch. »Viele Wege führen nach Wien«, sagt die Spitzenkandidatin.

Ein Berliner Mieterschutzschirm soll als Alternative einen »rechtssicheren Weg zu einem sozialen und klimafreundlichen Wohnungsmarkt« in der Hauptstadt bereiten. Wohnungsunternehmen, sowohl genossenschaftliche als auch private, sollen sich zu einem umfangreichen Vertragswerk verpflichten. Fünf Jahre sollen demnach unter anderem die Mieten eingefroren werden, die Umwandlung in Eigentumswohnungen komplett ausgeschlossen werden. Die Umlage bei energetischen Modernisierungen soll auf 1,50 Euro pro Quadratmeter begrenzt, die resultierende Miete bei 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens gekappt werden. Diese und weitere Rechte sollen »drittschützend« vereinbart werden, Mieter sollen sich also bei Verstößen ähnlich wie beim Mietendeckel an eine Überwachungsstelle wenden können.

Die teilnehmenden Vermieter sollen dafür exklusiven Zugang zu landeseigenen Baugrundstücken mit einem reduzierten Erbbauzins bekommen, es sollen höhere Zuschüsse für Sozial- und mittelpreisige Wohnungen und energetische Sanierungen fließen. Auch sollen Vorkaufsrechte in Milieuschutzgebieten nur zugunsten von Unterzeichnern des Mietenschutzschirms ausgeübt werden können.

»Es ist eine Chance, noch mehr Mieter zu schützen als bei einer Vergesellschaftung«, glaubt Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Der Senat rechnet derzeit mit 226.000 Wohnungen, die im Zuge eines Sozialisierungs-Gesetzes gegen Entschädigung enteignet würden. Um die gewünschte 50-Prozent-Quote zu knacken, müssten rund 340.000 Wohnungen in gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung kommen.

»Ich glaube nicht, dass die Wohnungswirtschaft sich freiwillig auf den Weg machen wird. So lange sie hofft, mit einer SPD- oder CDU-geführten Regierung durchzukommen, wird sie sich nicht bewegen«, sagt Bettina Jarasch. Angesichts der harschen Reaktionen allein schon vieler Genossenschaften auf den vom Bundesverfassungsgericht gekippten Mietendeckel sind Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Branche durchaus angebracht. »Wir müssen verbindlicher werden und auf Augenhöhe agieren mit den Genossenschaften. Einige, die bauen wollten, wurden nicht ausreichen von Rot-Rot-Grün unterstützt«, räumt Katrin Schmidberger ein. Sie ist Mietenexpertin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Schmidberger hebt auch die Verdienste des Enteignungsvolksbegehrens ausdrücklich hervor. »Ohne die Initiative hätte es keinen Mietendeckel gegeben«, erklärt sie. Auch das Konzept des Mietenschutzschirms wäre ohne sie nicht möglich gewesen.

Sollte es beim Volksentscheid eine Mehrheit pro Sozialisierung geben, werde man sich sofort an die Arbeit machen, den Willen umzusetzen, verspricht Jarasch. »Die Karte wird aber nur gezogen, wenn eine kooperative Lösung scheitert«, so die Politikerin.

»Wir freuen uns darüber, dass die Grünen-Spitzenkandidatin dazu auffordert, mit ›Ja‹ zu stimmen«, sagt Moheb Shafaqyar, Sprecher der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen, zu »nd«. Das Thema Mietenschutzschirm müsse man sich anschauen, wenn es soweit sei.

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