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Lasst uns streiten

Die Initiative »Corona-Aussöhnung« will eine Diskussion anstoßen

  • Lena Böllinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine offene Debatte lebt von ihren Beiträgen: Anfang Juli veröffentlichten 16 Expert*innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen aus Deutschland und Österreich einen Text mit dem Titel »Covid-19 ins Verhältnis setzen. Alternativen zu Lockdown und Laufenlassen«. Die Initiative nennt sich »Corona-Aussöhnung«. Beteiligt sind unter anderem die Politologin Ulrike Guérot, die Anwältin Jessica Hamed, der Gemeinwohlökonom Christian Felber und der Arzt Ellis Huber.

Kritik äußern sie an der bisherigen Corona-Politik und der öffentlichen Debatte darüber. In der Krisenkommunikation sei zu viel mit Angst und Schuld gearbeitet worden. So habe die Bundesregierung, wie ein Papier des Bundesinnenministeriums aus dem Frühjahr vergangenen Jahres belegt, eine »Schockwirkung« in der Bevölkerung erzielen wollen. Man habe das Worst-Case-Szenario verbreiten wollen.

Aber was ist dann mit dem dazugehörigen Best-Case-Szenario? Wenn Politiker*innen und Journalist*innen sich ausschließlich auf den schlimmsten anzunehmenden Fall konzentrieren, moralischen Druck aufbauen und sich gar einer Kriegsrhetorik bedienen, sei das nach Ansicht der Autor*innen, unverhältnismäßig, anti-aufklärerisch und führe zu gesellschaftlicher Spaltung.

Nicht zu halten sei die mit der Drohkulisse aufgebaute angebliche Alternativlosigkeit im Umgang mit der Pandemie. Das Kollektiv schlägt selbst am Ende des Textes zehn Alternativen vor, die man nach »der ausgelösten öffentlichen Diskussion« konkretisieren wolle. Es geht den Autor*innen offensichtlich um einen konstruktiven politischen Streit und nicht allein ums Rechthaben im Richtig-Falsch-Modus.

Unter anderem weisen sie darauf hin, dass bereits in den letzten Jahren bei schweren Grippewellen die Gesundheitssysteme verschiedener Länder nahezu kollabierten. Betroffen waren etwa Frankreich, Spanien, Großbritannien, die USA und auch Deutschland. Jedoch sei damals weder medial ausführlich über die skandalösen Zustände berichtet, noch politisch gegengesteuert worden. Im Gegenteil: Durch Sparmaßnahmen, Bettenabbau und die Spezialisierung auf profitable Hightech-Medizin seien die Gesundheitssysteme denkbar schlecht auf die jetzige Pandemie vorbereitet gewesen.

In ihrer Einschätzung der bisherigen Maßnahmen stellen die Autor*innen besonders den Lockdown infrage. Es sei zuerst das autoritär regierte China gewesen, das den »polizeilichen Lockdown als medizinische Maßnahme« einsetzte. In westlichen Rechtsstaaten erscheine das jedoch »unverhältnismäßig und generell nicht für Demokratien angemessen«.

Zudem sei unklar und wissenschaftlich umstritten, inwiefern ein pauschaler Lockdown tatsächlich für einen effektiven und würdevollen Schutz vulnerabler Gruppen sorge und nachhaltig eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeide. Hingegen zeitige der Lockdown enorme »Kollateralschäden« vor allem für arme und rassistisch diskriminierte Menschen sowie Frauen und Kinder.

Bemängelt wird außerdem, dass anderen Gesundheitsgefahren keine vergleichbare Aufmerksamkeit geschenkt werde und Kritiker*innen bisheriger Maßnahmen verunglimpft und marginalisiert würden. Zudem würden Ungereimtheiten und Parteilichkeiten in der Forschung, politischen Entscheidungsfindung und medialen Berichterstattung nicht ausreichend thematisiert. Auch über Entstehung, Vermeidung und Abschwächung von Pandemien werde im Verhältnis zur akuten »Bekämpfung« kaum gesprochen. Wohl auch, weil man dann an den Grundlagen einer »nicht nachhaltigen Wirtschaftsweise« rühren würde.

Alles in allem ist der Text ein wichtiger und lesenswerter Debattenbeitrag. Zu hoffen bleibt, dass diese Debatte denn auch tatsächlich stattfindet.

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