China und der Rest der Welt

Covid-19-Impfstoffe werden inzwischen in sehr großen Mengen produziert, vor allem in der Volksrepublik. Der Westen hortet weiterhin Vakzine

Die Afrikanische Union (AU) hat wegen der ungerechten Verteilung der Covid-Impfstoffe die Faxen dicke: Sie hat selbst ein Ankaufprogramm gestartet und vor wenigen Tagen die ersten Vakzine an mehrere Mitgliedstaaten ausgeliefert. Insgesamt 400 Millionen Dosen sollen in den kommenden Monaten ausgeliefert werden und ein Drittel der Bevölkerung auf dem Kontinent erreichen. Der Direktor der AU-Gesundheitsbehörde, John Nkengasong, kritisierte, in den vergangenen Monaten habe sich die Lücke zwischen Afrika und anderen Teilen der Welt noch vergrößert. Geordert hat die Staatenorganisation beim US-Hersteller Johnson & Johnson. Dessen Vektorimpfstoff hat mehrere Vorteile: Er wird etwa zum Herstellungspreis verkauft und er muss nur einmal geimpft werden, um Immunschutz zu erreichen. Damit ist er prädestiniert gerade für den Einsatz in schwer erreichbaren Regionen, wovon es in Afrika viele gibt.

Viele Länder im globalen Süden hatten ursprünglich gehofft, über das Covax-Programm der Vereinten Nationen versorgt zu werden. Dieses wollte bis Jahresende mindestens zwei Milliarden Impfstoffdosen für die ganze Welt einkaufen und verteilen, wobei Industriestaaten für ganz arme Länder quasi mitzahlen. Viele reiche Staaten sicherten sich aber ganz früh große Mengen in bilateralen Verträgen mit einzelnen Herstellern, sodass bei Covax wenig ankam.

Das Problem ist aber nicht mehr eine Knappheit an Impfstoffen. Im Jahr 2019 wurden laut Schätzungen weltweit insgesamt zwei Milliarden Impfstoffe gegen alle möglichen Krankheiten produziert. In diesem Jahr werden bis Ende August 5,9 Milliarden Covid-Impfdosen hergestellt sein, Ende Dezember wird die Gesamtmenge voraussichtlich bei 11,4 Milliarden liegen, wie das Wissenschaftsanalyse-Unternehmen Airfinity in London für das »nd« errechnete. Das wären fast 1,5 Impfdosen pro Erdenbürger. Allein in der letzten Juliwoche verließen 176 Millionen Portionen die Fabriken. Vor allem in China wird in rauen Mengen produziert: Bis Jahresende dürfte der Anteil der Volksrepublik an der Weltproduktion laut Prognose auf fast 40 Prozent steigen. Die EU, Indien und die USA folgen in einigem Abstand, der Rest der Welt unter ferner liefen.

Bisher sind 2,3 Milliarden Menschen oder 29,5 Prozent der Weltbevölkerung zumindest einmal geimpft. Bei den aktuellen Produktionsmengen rückt die Frage der Logistik in den Vordergrund, aber auch die der Verteilungsgerechtigkeit. Der Abstand zwischen den Ländern ist nach wie vor krass: Bei EU-Spitzenreiter Spanien werden nach Berechnungen von Airfinity Ende August drei Viertel der Bevölkerung geimpft sein, im nordafrikanischen Niger sind es dann erst das Gesundheitspersonal und Hochrisikogruppen – 0,1 Prozent der Bevölkerung.

Airfinity geht zudem davon aus, dass insgesamt 101 Länder noch keines der vier von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für September ausgegebenen Ziele bei der Covid-Bekämpfung erreicht haben wird. Dazu gehört, dass zehn Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Diese Staaten liegen vor allem in Afrika sowie Zentral- und Südasien, aber auch in Osteuropa und Lateinamerika. Selbst Neuseeland gehört dazu.

Dagegen haben einige Staaten riesige Überschussmengen angehäuft oder sich zumindest reserviert. In der EU dürften diese laut den Airfinity-Analytikern im September bei 642 Millionen Dosen liegen, in den USA bei 555 Millionen. Dies bezieht sich auf die zusätzlichen Mengen nach vollständiger Impfung der Bevölkerungsteile, für die dies lokal empfohlen ist. Im Jahr 2022 dürften die Überschüsse auf sage und schreibe 1,87 Milliarden in der EU und 1,26 Milliarden in den USA ansteigen. Es wird weiter gehortet – etwa für Impfungen von Jugendlichen und Kindern, was jenseits der Vorerkrankten epidemiologisch wenig sinnvoll ist, oder für dritte oder weitere Boosterimpfungen.

Wegen des Missstands bei der Verteilung versprachen die G7-Staaten im Juni, eine Milliarde Dosen ihrer Überschussmengen weiterzureichen. Das kommt aber eher langsam voran. Die Bundesregierung brüstet sich derzeit damit, Impfstoffe in alle Welt zu spenden. Die ersten 1,3 Millionen Dosen würden gerade an Covax geliefert, sagte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums vor wenigen Tagen der Nachrichtenagentur epd. Die Bundesländer schicken derzeit mehr als 2,7 Millionen nicht benötigte Dosen aus ihren Verteilzentren an den Bund zurück, der dann für die Weitergabe zuständig ist. Insgesamt sollen laut einem Kabinettsbeschluss von Anfang Juli mindestens 30 Millionen Impfdosen weitergereicht werden, davon vier Fünftel über Covax, der Rest bilateral.

Die Sache hat aber mehrere Haken: Die Mengen sind äußerst gering, sie kommen reichlich spät und es wird Impfstoff abgegeben, der in Deutschland nicht mehr gewünscht wird: vor allem das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers Astra-Zeneca. Dieses wurde hierzulande mit dem Etikett versehen, gegenüber mRNA-Impfstoffen ein Impfstoff zweiter Klasse zu sein. Im Ausland wurde dies natürlich zur Kenntnis genommen. Und so entsteht international das Bild, dass insbesondere die EU minderwertige Ware in die Dritte Welt weiterreicht. Das verstärkt noch die Probleme bei der Impfbereitschaft vor Ort – einige Länder müssen Vakzine trotz niedriger Impfquote vernichten.

Dabei war der Vekorimpfstoff von Astra-Zeneca und der Universität Oxford ursprünglich gerade für den globalen Süden gedacht – er ist gut zu lagern, wird zum Herstellungspreis verkauft und auch in Indien produziert. Weltweit liegt er Anfang August mit gut 800 Millionen ausgelieferten Dosen aber nur auf Rang vier. Davor finden sich das chinesische Sinopharm und Biontech/Pfizer. Unangefochtener Spitzenreiter ist der eher klassische Totimpfstoff Coronavac des Pekinger Biotech-Unternehmens Sinovac mit weit über 1,1 Milliarden Dosen. Und Sinovac setzt auf weitere Expansion – unter anderem in Chile wird gerade eine Fabrik errichtet.

Sinovac scheint nicht das Imageproblem von Astra-Zeneca zu haben. Dabei wird die Wirkung gegen symptomatische Covid-19-Verläufe von der WHO mit 51 Prozent angegeben, beim Oxford-Impfstoff sind es 80 Prozent. Doch auch 51 Prozent sind mit Blick auf Vakzine gegen andere Krankheiten nicht schlecht. Manche Länder mit starkem Sinovac-Einsatz haben zwar mit hohen Inzidenzen zu kämpfen, allerdings gibt es recht wenige Hospitalisierungs- und Todesfälle. Eine Wirkung gegen schwere Verläufe scheint also trotz einer laut Studien eher geringen Antikörperbildung nach einer Coronavac-Impfung gegeben.

Allmählich werden mehr Spenden rund um den Globus transportiert – laut Airfinity bisher gut 69 Millionen Impfdosen über Covax und gut 88 Millionen bilateral. In dieser Woche gingen laut Airfinity kleine sechsstellige Mengen Astra-Zeneca von Schweden nach Tadschikistan, von Frankreich nach Afghanistan und Somalia. Die USA lieferten Johnson & Johnson nach Guinea-Bissau und Biontech auf die Malediven. Das Ganze hat einen Hauch von außenpolitischer Lotterie.

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