Hungerstreik aus Sorge

Afghanen haben Angst um ihre Angehörigen und fordern ihre Aufnahme in Berlin

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich habe neun Jahre für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet. Rettet meine Frau und meine Familie.« Dieser Appell steht auf den Schildern, die zwei in Afghanistan geborene Männer, die schon länger in Deutschland leben, geschrieben haben. Der Adressat ihres Hilferufs sind Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und sein Ministerium. Deshalb haben sie sich am Donnerstagvormittag mit den selbst gemalten Schildern in Sichtweite des Auswärtigen Amtes in Berlin-Mitte postiert. Mit dabei haben sie Dokumente, die beweisen sollen, dass ihre Angehörigen für die Nato und die Internationalen Truppen (ISAF) gearbeitet haben.

Die Protestaktion sei spontan erfolgt, erzählen die beiden Männer, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, dem »nd«. »Wir sorgen uns um unsere Angehörigen und Freund*innen, die jetzt nicht wissen, was in der nächsten Zukunft in Afghanistan mit ihnen geschieht«, sagt der eine.

Noch habe man über die sozialen Medien Kontakt. Doch auch da müsse man vorsichtig sein. Ihre Angehörigen würden nie länger als eine Minute per Handy telefonieren, weil sie Angst hätten, von den Taliban und ihrer Polizei geortet zu werden. Die Versprechungen der Taliban, dass den Menschen nichts passiert werde, halten die beiden Männer für Propaganda. Alle afghanischen Unterstützer*innen der Nato und der ISAF müssen die Möglichkeit haben, per Luftbrücke das Land zu verlassen, lautet ihre Forderung. »Sie haben der Nato geholfen, und jetzt, wo sie in Lebensgefahr sind, werden sie im Stich gelassen«, lautet das bittere Resümee der beiden. Unterstützung bekommen sie von der Initiative Seebrücke. Aus dem Bundesaußenministerium kam derweil noch keine Reaktion. »Wir bleiben hier und treten in den Hungerstreik, bis wir eine Antwort bekommen haben«, sagt einer der Männer entschlossen.

Shabana sorgt sich ebenfalls um ihre Familie in Afghanistan. »Ich denke den ganzen Tag daran, wie ich ihnen helfen kann. Wie ich sie nach Deutschland bringen kann«, sagt die junge Frau. Ihre Tante und Cousinen befänden sich aktuell in der westlichen Stadt Herat. Ihre Tante gehe aus Angst vor den Taliban kaum noch aus dem Haus. »Wenn man jetzt nach draußen geht, fühlt man sich wie auf einem Friedhof«, so gibt die junge Frau die Berichte ihrer Familie wieder. Sie schildert, dass sie 2012 mit ihrem Vater und ihrer Schwester nach Berlin gekommen sei. »Ich habe selbst Angst. Als ich herkam, war ich elf oder zwölf, aber trotzdem ist es mein Land«, sagt Shabana. Die Frauen in dem Land hätten 20 Jahre dafür gekämpft, zu studieren und zu arbeiten, und müssten nun wieder zu Hause sitzen oder draußen eine Burka tragen.

Von Berlin aus versuchen Organisationen, den Menschen in Afghanistan zu helfen. Der Verein »Moabit Hilft«, der seit Jahren geflüchtete Menschen in Berlin unterstützt, steht in Kontakt mit Männern und Frauen in Kabul. »Nach Kabul gibt es minimalen Kontakt über irgendein Internet«, sagt Diana Henniges, Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins. »Das Telefonnetz ist komplett zusammengebrochen, zumindest nach unseren Erkenntnissen.« Aktuell versuche der Verein, Leute, die sich rund um den Flughafen in Kabul versammelt hätten, auf deutsche Evakuierungslisten zu bekommen.

In der Verantwortung für die Lage sieht Henniges die Politik. »Die eskalative Situ᠆ation zeichnete sich ja vor Wochen schon ab. Wir haben die ersten Meldungen gekriegt vor vier, fünf Wochen, dass die Taliban so extrem vorrücken«, so die Geschäftsführerin. »Ich glaube, da ist sehr viel politisches Kalkül.« Die Gefahrenlage einzuschätzen sei Alltag, und diese sei bewusst heruntergespielt worden. »Dass uns das jetzt überrollt, das ist kein Zufall«, so Henniges.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) unterstrich im Abgeordnetenhaus nochmals die Bereitschaft des Senats, geflüchtete Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. »Es geht darum, bedrohte Menschenleben zu retten«, sagte Geisel am Donnerstag. Es gehe momentan darum, bis zu 4000 Ortskräfte und deren Familien, die für die Bundeswehr oder andere Organisationen gearbeitet haben, zu evakuieren und nach Deutschland zu bringen. Diese befänden sich in unmittelbarer Lebensgefahr. Die Aktion sei im Gange, er hoffe, dass sie so lange wie möglich weitergeführt werden könne, so Geisel. Es gebe aber auch andere Menschen, die in Gefahr seien. Geisel nannte Journalisten, Frauenrechtlerinnen, queere Personen oder solche, die sich für Demokratie eingesetzt hätten. Mit Agenturen

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