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Die Aufgaben und die wahren Zahlen

Daniel Lücking war in seiner Offizierszeit selbst für afghanische Ortskräfte verantwortlich und schildert deren Bedeutung für die Entwicklung in Afghanistan

Die organisierte Verantwortungslosigkeit zeigte sich dieser Tage in zahlreichen Antworten, die die Ministerien in der Regierungspressekonferenz gaben. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes macht in einem Nebensatz klar, dass es offensichtlich niemals darum gegangen sein kann, allen ehemals durch internationale Kräfte angestellten Menschen eine Möglichkeit zur Ausreise zu bieten. Man wolle »das jetzt noch Mögliche tun, um diesen Menschen zu helfen«.

Die afghanischen Ortskräfte von Bundeswehr und anderen Ministerien sind nur die Spitze eines Eisberges. Ihre Zahl ist durch Arbeitsverträge ermittelbar. Da jedoch oft über Subunternehmen Projekte vergeben wurden, in denen dann Afghan*innen andere Landsleute anstellten, ist nicht klar ermittelbar, wie viele Menschen eigentlich gerettet werden müssten.

Die Zahl erhöht sich weiter, wenn man davon ausgeht, dass alle angestellten Verbündeten Multiplikatoren darstellten. Das betrifft insbesondere diejenigen Ortskräfte, die im Medienprojekt Bawar Mediacenter beschäftigt waren, das die Bundeswehr bereits zu Beginn des Isaf-Einsatzes auf den Weg brachte. Einheimische wurden angeworben, um in den Landessprachen Dari und Paschtu Medienprodukte zu erstellen. Neben Zeitungen, Plakaten und Handzetteln gehörte auch ein landesweites Radioprogramm mit einigen Regionalprogrammen dazu.

Auch Videoaufzeichnungen, die über die afghanischen TV-Sender verbreitet wurden, und Internetveröffentlichungen zählten zu den medialen Produkten. Insbesondere für Frauen stellt diese Präsenz eine massive Gefährdung dar, da sie in direktem Widerspruch zu dem handelten, was Talibankämpfer dulden. Zugleich wurden die Frauen damit auch zu Rollenvorbildern eines eher westlich orientierten Lebensstiles und motivierten viele andere junge Frauen, es ihnen gleich zu tun.

Beim Blick auf die militärische Seite dieses Projektes steht vor allem der taktische Nutzen im Vordergrund. So analysierten die afghanischen Journalist*innen die lokalen Medien und trugen die Informationen dann in einer für die internationalen Truppen verständlichen englischen Zusammenfassung zum Lagebild bei.

Zugleich waren sie unverzichtbare Expert*innen für die Beurteilung von Stimmungen im Land, wie im Januar 2006, als das Militär mit den Mohammed-Karikaturen der dänischen Tageszeitung »Jyllands-Posten« konfrontiert war. Demonstrationen, die teils gewalttätig wurden, durchzogen das Land. Offenkundig handelte es sich in den Folgejahren dann immer mehr um ein Propagandaunternehmen, das die Erfolge der afghanischen Armee in Szene setzen sollte und auch weiterhin Menschen dazu animieren musste, sich am internationalen Wiederaufbau zu beteiligen.

Obgleich es die Verpflichtung gab, nur weiße Propaganda zu betreiben - also nur geprüfte, wahre Informationen zu verwenden - mussten die vor Ort tätigen Redakteur*innen trotzdem ein schiefes Bild von den Entwicklungen im Land zeichnen. Kritik an Korruption, die von der afghanischen Regierung in Kabul auch durch die Verteilung der Gouverneursposten in den Provinzen zum Alltag gehörte, war in dem Medienprojekt nicht möglich. »Das ist Sache der afghanischen Regierung«, hieß es beispielsweise noch in früheren Jahren des Einsatzes.

In der vergangenen Woche räumten Verteidigungsministerium und Außenministerium ein, dass Mitarbeiter*innen dieses Medienprojekts, das die Bundeswehr Ende 2016 an einen Subunternehmer abgegeben hatte, nun doch visumsberechtigt sein sollen. Über die Genese dieser Entscheidung lässt sich nur spekulieren. Ein Beweggrund für die zunächst nicht vorgesehene Asylgewährung könnte jedoch die Fehleinschätzung sein, die Medienexpert*innen hätten weiterhin Erfolge der afghanischen Armee vermarkten müssen.

Als die 26 Angestellten in diesem Jahr eine sogenannte Gefährdungsanzeige vorbrachten, reagierte der Subunternehmer mit der sofortigen Kündigung. Eine Ausreise erfolgte bislang nicht.

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