Vorsichtiger Optimismus in Caracas

Venezuelas Regierung und Opposition haben einen neuen Dialogversuch begonnen

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 4 Min.

In der venezolanischen Politik bahnt sich Bewegung an. Nachdem die rechte Opposition die Parlamentswahlen im vergangenen Dezember größtenteils boykottiert hatte, mehren sich die Forderungen, an den Regional- und Kommunalwahlen am 21. November teilzunehmen. Diese böten »eine große Chance, sich zu organisieren und Unzufriedenheit auszudrücken«, sagte der zweifache Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles am Freitag gegenüber Pressevertreter*innen. Bereits mehrere kleinere Oppositionsparteien haben angekündigt, Kandidat*innen aufstellen zu wollen. Das Lager von Juan Guaidó, der mit Rückendeckung der US-Regierung noch immer den Anspruch auf eine Interimspräsidentschaft erhebt, lehnt eine Teilnahme hingegen bisher ab. Bereits im vergangenen Jahr war Capriles auf Distanz zu Guaidó gegangen und pocht darauf, dass die Opposition politische Räume nicht kampflos aufgeben solle, auch wenn die Wahlbedingungen nicht optimal seien.

Seit dem 13. August sitzen Vertreter beider Oppositionsströmungen gemeinsam am Verhandlungstisch mit der Regierung. Guaidó und Capriles nehmen zwar selbst nicht daran teil, haben die Gespräche aber gebilligt. Unter Vermittlung Norwegens finden diese in Mexiko statt, das nächste Treffen ist für Anfang September angesetzt. Präsident Nicolás Maduro zeigte sich vergangene Woche optimistisch. »Die Friedensdialoge zwischen Venezuela und den extremistischen Sektoren der Rechten haben gut begonnen«, erklärter er nachdem beide Verhandlungsparteien eine »Absichtserklärung« (Memorandum of Understanding) unterzeichnet hatten. Darin verpflichten sie sich unter anderem dazu, die Verfassung und die Menschenrechte zu achten und auf Gewalt zu verzichten. Zudem einigten sie sich auf insgesamt sieben Verhandlungsthemen, darunter politische Rechte und Wahlen, Sanktionen sowie politisches und soziales Zusammenleben.

Der Opposition geht es bei den Verhandlungen vor allem um Garantien für freie Wahlen und die Freilassung der von ihnen als politische Gefangene betrachteten Personen. Für die Regierung hingegen steht ein Ende der Sanktionen und die Anerkennung der gewählten Institutionen im Mittelpunkt. Vergangenen Sonntag wurde als direkte Folge des Verhandlungsbeginns der Oppositionspolitiker und Guaidó-Vertraute Freddy Guevara aus der Haft entlassen. Er war am 12. Juli von der Geheimdienstpolizei Sebin verhaftet worden, weil er Verbindungen zu kriminellen Banden in Caracas unterhalten soll.

Ob die Verhandlungen Erfolg haben können, hängt auch von der Haltung der US-Regierung ab, denn nur sie kann die Sanktionen aufheben. Vorangegangene Dialogversuche in der Dominikanischen Republik (2017/18) sowie Oslo und Barbados (2018) waren jeweils auch an den USA gescheitert. Im August 2019 endeten die letzten Gespräche dadurch, dass die US-Regierung von Donald Trump neue Sanktionen verhängte. Der damalige US-Präsident hatte sich beharrlich geweigert zu akzeptieren, dass Maduro zunächst weiter im Amt bleibt.

Im Anschluss an die 2019 gescheiterten Verhandlungen konnten weniger konfrontative Teilen der Opposition in Parallelgesprächen mit der venezolanischen Regierung dann erste Fortschritte erreichen. Im Nationalen Wahlrat (CNE) gehören nun zwei von fünf Mitgliedern der Opposition an, zuvor war das Verhältnis jahrelang vier zu eins zugunsten des Chavismus.

Die gerade begonnen Verhandlungen haben aus Sicht vieler Venezolaner*innen allerdings ein Legitimitätsproblem. In Mexiko nehmen neben der Regierung die vier größten Parteien teil. Es fehlt jedoch die moderate rechte Opposition, die sich an den Parlamentswahlen beteiligt hatte, in den Augen von Guaidó und Capriles jedoch von der Regierung korrumpiert ist. Der radikale Oppositionsflügel um María Corina Machado und Antonio Ledezma lehnt ohnehin jegliche Gespräche mit der Regierung ab. Und auch die kleine linke Opposition ist in Mexiko nicht dabei. Die Regierung versucht nach allen Kräften eine Zersplitterung des Chavismus zu vermeiden und erschwert die Wahlteilnahme für linke Dissident*innen. Zugleich versucht die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV), ihre Anhängerschaft wieder stärker zu mobilisieren und hielt am 8. August erstmals seit Jahren interne Vorwahlen ab. Bei diesen setzten sich allerdings überwiegend die Wunschkandidat*innen der Parteiführung durch. Eine tragfähige politische Lösung sollte mittelfristig auch alternative chavistische Sichtweisen und andere gesellschaftliche Gruppen mit einbeziehen. Und kurzfristig muss die Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung im Vordergrund stehen.

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