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Die kalte Schulter

Der Profifußball hat viele Fans in der Pandemie vergrault. Sie ins Stadion zurückzuholen, wird schwerer als erwartet

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sollte eine besondere Geste an die Zuschauer von Eintracht Frankfurt sein, als der Vorstand mit Axel Hellmann, Markus Krösche und Oliver Frankenbach, Aufsichtsratschef Philip Holzer und Präsident Peter Fischer am Samstag gemeinsam auf den Rasen gingen. Die Rede von Vorstandssprecher Hellmann vor dem Heimspiel gegen den FC Augsburg (0:0) sollte fast schon die emotionalsten Momente dieses Nachmittags beinhalten. »Nach über einem Jahr sind wir wieder bei einem Bundesligaspiel mit vielen - nicht allen - Fans zusammen. Aber ihr seid, trotz all dieser Umstände, in sehr großer Zahl heute da.«

Seine Ansprache wurde mehrfach von den Ovationen übertönt. Am Ende hoben die Herren in ihren Anzügen die Hände zum Applaus, der tausendfach von den Rängen erwidert wurde. Dabei waren selbst am zuschauerträchtigen Standort Frankfurt nicht die möglichen 25 000 Zuschauer zusammengekommen, sondern »nur« 22 000. Lediglich 6500 der 31 000 Dauerkarteninhaber hatten von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Heißt also: Auf Ablehnung stoßen die Einschränkungen durch die Hygienevorschriften nicht nur bei den einflussreichen Ultragruppierungen, sondern bei weiten Teilen der Stammkundschaft.

»Für Fußballfans, die regelmäßig ins Stadion gehen, und das sind in erster Linie die Dauerkarteninhaber, steht das Gemeinschaftserlebnis im Mittelpunkt. In der Regel unterliegt ein Spieltag einem ritualisierten Tagesablauf, von der Abreise zu Hause bis zur Rückkehr«, sagt Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Die meisten offiziellen Fanklubs der Vereine verzichten ob der Beschränkungen und Auflagen weiterhin auf den Stadionbesuch. Ihre Forderung: Alle oder keiner. Gabriel glaubt: »Von größter Bedeutung ist die Gewissheit, an den gewohnten Plätzen seine Freunde und Bekannten zu treffen. Durch die coronabedingten Einschränkungen ist diese Zuverlässigkeit im Moment nicht gegeben. Das hält die meisten Fans wohl von einem Stadionbesuch ab. Denn dort sitzen die Fans momentan zufällig zusammengewürfelt.«

Ausverkaufte Arenen vermeldeten zum Start nur die Hälfte der 18 Bundesligisten - München, Freiburg, Leverkusen, Fürth, Dortmund, Mönchengladbach, Köln, Bielefeld und Union Berlin. Teils klafften erhebliche Lücken zur reduzierten Maximalkapazität. Hoffenheim (8014) und Wolfsburg (8536) lockten nicht mal eine fünfstellige Kulisse. Offenbar müssen selbst Erstligisten härter als gedacht um die Rückkehr der Zuschauer kämpfen. In der 2. und 3. Liga zeigte sich bereits dasselbe Phänomen. Es deutet vieles auf ein Konglomerat von Gründen hin: die Hürden beim Ticketerwerb, die Angst vor Corona und die Nachwirkungen der Geisterspiele.

»Es ist sicherlich von allem etwas. Einige Fans haben Angst, sich anzustecken. Außerdem gibt es nach den vielen Entbehrungen der letzten Monate nun auch viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten«, sagt die Fanvertreterin Helen Breit. »Nicht jeder und jede hält sich die Wochenenden frei, um ein Fußballspiel zu besuchen.« Hinzu käme ein gewisser Grad der Entwöhnung: »Die meisten Menschen waren anderthalb Jahre nicht mehr im Stadion. Jetzt ist bei einigen die Priorität des Fußballs gesunken.«

Der organisierten Fanszene geht es auch um eine unterschwellige Protesthaltung, die sich aus den Fehlentwicklungen in der Coronakrise speist. »Es ist eine weitverbreitete Enttäuschung spürbar, dass aus den Ankündigungen, der Fußball würde demütiger, nichts übrig geblieben zu sein scheint«, erläutert KOS-Vertreter Michael Gabriel. Und Helen Breit als Vorsitzende von »Unsere Kurve« ergänzt: »Viele Menschen sind enttäuscht vom Reformstau.« Das verspielte Vertrauen könnte den Klubs also noch böse auf die Füße fallen, die mit gut besuchten Stadien geplant haben. Auf Dauer geht es kaum gut, wenn die stimmungsvollsten Fans dem Ligafußball die kalte Schulter zeigen.

Bei Hertha BSC wurde gegen den VfL Wolfsburg (1:2) das Höchstlimit von 25 000 mit 18 241 Fans im weitläufigen Olympiastadion klar verfehlt. »Es gibt Menschen, die haben ein bisschen Angst, andere Menschen haben sich an den Fernseher zu Hause mit einem Bier gewöhnt«, mutmaßte Trainer Pal Dardai. Sportvorstand Fredi Bobic wartete noch mit einer anderen Erklärung auf: »Wenn alles frei zugänglich wäre und die Kapazitäten wären nicht beschränkt, wären viel mehr gekommen - da bin ich mir sicher. Ich muss eine Maske anziehen, sitze vielleicht nicht mit meinen Kumpels zusammen. Das macht auch keinen Spaß.« Bobic plädiert dafür, die Stadien bald ohne Einschränkung komplett zu öffnen. Ansonsten stellt er sogar in Aussicht, sich mit Hertha einer Klage anzuschließen, die genau das fordert.

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