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Autoindustrie sucht neues Image

Die am Dienstag beginnende Branchenmesse IAA setzt auf andere Leitthemen. Doch manches ist wie immer

Das Auto hat ein Imageproblem. War es nach dem Krieg Symbol von Wirtschaftswunder und bescheidenem Wohlstand großer Bevölkerungsschichten, ist es längst ein Hindernis auf dem Weg in die klimaneutrale Zukunft. Und so nennt sich die Internationale Automobilausstellung (IAA) jetzt verbrämt »IAA Mobility«. Am Montag öffnete sie für Pressevertreter, ab Dienstag bis Sonntag ist sie für das Publikum zugänglich. »Es ist zu sehen, was sich weit über Deutschland hinaus an neuer Mobilität auf den Weg macht«, sagte Hildegard Müller, Chefin des deutschen Autoindustrieverbands VDA, vor Beginn.

Mit dem Umzug aus der Finanzmetropole Frankfurt am Main nach München soll einiges anders werden. Die protzige Zurschaustellung chromglänzender PS-Boliden in riesigen Messehallen passt nicht mehr in die Zeit und soll in den Hintergrund rücken. Stattdessen preisen die Veranstalter - der VDA und die Messegesellschaft München - eine Messe zum Ausprobieren und Diskutieren an. Veranstaltungen zu den Leitthemen Elektromobilität, autonomes Fahren, Vernetzung der diversen Verkehrsträger und Klimaneutralität gibt es auch in der Stadt. Selbst das Fahrrad hat auf der IAA seinen Raum erobert. Rund 70 Hersteller sind in München vertreten. An drei Tagen findet zudem ein »Sicherheitstraining Pedelec für Senioren« statt.

In der Autobranche selbst ist das Interesse an der IAA über die Jahre abgeflaut. Frankfurt, wo die Autoshow seit 1951 stattfand, wollte die Messe nach 2019 nicht mehr austragen. In München glänzen jetzt einige Giganten der Autoindustrie wie Toyota oder Stellantis mit den Marken Chrysler, Citroën, Fiat, Opel und Peugeot durch Abwesenheit. Zu den Hauptausstellern gehört stattdessen Leapmotor, ein hierzulande bisher weitgehend unbekannter Elektroautohersteller aus Peking. Und deutsche Größen zeigen Ungewöhnliches: BMW-Chef Oliver Zipse präsentierte bei seinem Heimspiel am Montag der Presse den »i Vision Circular«, ein zu 100 Prozent aus Altmaterial und nachwachsenden Rohstoffen hergestelltes Auto. BMW wolle »der nachhaltigste Autohersteller der Welt« werden, tönte Zipse. Die Karosserie des Kleinwagens besteht aus wiederverwertetem, nicht lackiertem Aluminium und Stahl. Chrom, Doppelrahmen, Stege, Zierleisten und Dekors wurden weggelassen, das BMW-Logo ins Metall gelasert. Das Ausstellungsstück repräsentiert laut Zipse »die Denkweise, mit der wir die neue Klasse entwickeln«, die elektrischen Modellgenerationen ab 2025.

Konkurrent VW wiederum rückt erst gar keinen Pkw in den Vordergrund, sondern den vollelektrischen, autonom fahrenden Kleinbus ID.Buzz. Und Vorstandschef Herbert Diess traf am Sonntag mit Greenpeace-Verkehrsexpertin Marion Tiemann zum Meinungsaustausch zusammen.

Für Diess ist das längst Routine. Und der VW-Bus soll erst mal nur mit fünf Exemplaren getestet werden, eine Serienproduktion ist ähnlich wie beim Recycling-BMW, bei dem es nur eine Designstudie gibt, in sehr weiter Ferne. Ist die neue IAA also nur ein großer Deckmantel, den die deutschen Autobauer über ihre Produktion von Dreckschleudern hängen, wie Kritiker meinen?

Tatsächlich ist die Autoindustrie in Bewegung geraten. Das dürfte nicht aus eigenem Antrieb geschehen, sondern auf politische Vorgaben bei der Reduktion des CO2-Ausstoßes zurückzuführen sein. Und auch Teile der Kundschaft, für die Umweltbewusstsein zum Lifestyle gehört, üben Druck aus. Wohlhabende Kunden und soziale Aufsteiger stellten wachsende Ansprüche an verantwortungsvollen Konsum, heißt es etwa bei BMW.

Und so befindet sich die Branche gerade im Strukturwandel. Dies hat wenig mit der Corona-Pandemie mit ihrem vorübergehenden Absatzrückgang zu tun. Kurzarbeit ist mittlerweile weitgehend Geschichte, und auch die Lieferprobleme bei Halbleitern, die derzeit wieder zu Produktionsstopps führen, dürften vielleicht noch einige Monate anhalten. Bei der Messe ist Covid-19 nur insofern ein Thema, als alle Teilnehmer und Besucher getestet, genesen oder geimpft sein müssen.

Ebenfalls wohl nur eine Momentaufnahme dürfte sein, dass die Anzahl der Fusions- und Übernahmeankündigungen deutscher Erwerber so niedrig wie seit über zehn Jahren nicht mehr ist, wie eine Studie des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitutes ZEW zeigt. Die Konkurrenz in China und den USA ist längst auf Erholungskurs und fusioniert wieder wie zuvor. »In Deutschland hingegen stockt die Erholung offenbar auch aufgrund fehlender Klarheit über die Auswirkungen der Klimapolitik auf die Branche«, so ZEW-Bereichsleiter Georg Licht.

Der Strukturwandel wird dennoch weitergehen. Doch auch die Umstellung vom Verbrenner auf Batterieantrieb bringt massive Umweltprobleme mit sich, da Elektroantrieb ebenfalls mit großem Rohstoffhunger einhergeht. »Die Elektromobilität erhöht den Druck auf rohstoffreiche Regionen«, sagte Teresa Hoffmann von der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt bei der Vorstellung einer Studie mehrerer NGOs. »Unsere Partner berichten beim Abbau von Kupfer, Lithium oder Kobalt immer wieder von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden.« In der Studie wird neben einer Verschärfung des Lieferkettengesetzes gefordert, die Anzahl der Autos in Deutschland deutlich zu reduzieren. »Im Rahmen einer Mobilitätswende brauchen wir weniger, kleinere, leichtere und in der Nutzung geteilte Autos«, wie es Hauptautorin Merle Groneweg von PowerShift ausdrückt.

Davon ist die Branche weit entfernt. Schnelle, PS-starke Autos werden auch auf der IAA Mobility präsentiert. Und noch etwas ist wie früher: Offiziell eröffnet wird die Messe am Dienstagnachmittag von der wichtigsten Regierungsvertreterin des Landes: Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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