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Die Norm der Vollzeitarbeit umdenken

Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit: Einen Großteil davon erledigen immer noch Frauen

Frauen bringen laut Gleichstellungsbericht der Bundesregierung im Durchschnitt täglich rund anderthalb Stunden mehr Zeit auf für Haushalt, Kinder und Angehörige als Männer. Der sogenannte Gender-Care-Gap, die Lücke in Bezug auf unbezahlte Sorge- und Hausarbeit zwischen den Geschlechtern, ist hoch. Im Schnitt erledigen Frauen 52 Prozent mehr Sorgearbeit als Männer, in Paarhaushalten mit Kindern sogar 83 Prozent. Es gibt auch Unterschiede je nach Wohnort: Im Westen Deutschlands ist der Gender-Care-Gap höher als im Osten Deutschlands. Bei Menschen, die weniger Einkommen zur Verfügung haben, ist er zudem höher als bei Menschen mit mehr Einkommen.

»Das Dramatische an diesen Zahlen ist, dass sich diese ungleiche Verteilung unmittelbar auf das Einkommen und somit auch auf die Rente auswirkt«, erklärte Jutta König Bundesfrauensprecherin des Sozialverbands Deutschlands (SoVD) am Dienstag. »Denn je mehr Sorgearbeit Frauen übernehmen, desto weniger Zeit bleibt ihnen, ein auskömmliches und eigenes Einkommen zu erwirtschaften«, so König. Auf der SoVD-Veranstaltung tauschten sich Experten und Expertinnen sowie Politikerinnen über Strategien gegen die ungleich verteilte Sorgearbeit aus. Sven Paul, Referent im Grundsatzreferat der Abteilung Gleichstellung im Bundesfamilienministerium, erklärte, dass die Bundesregierung sich bereits zum Ende der letzten Legislaturperiode vorgenommen hatte, Rahmenbedingungen zu schaffen, um die unbezahlte Sorgearbeit für Männer und Frauen gleichermaßen attraktiv zu machen. Was ist seitdem passiert? Offensichtlich nicht genug. Denn während der Corona-Pandemie hat sich die Situation für Frauen zahlreichen Untersuchungen zufolge noch weiter verschlechtert.

So gaben in einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung nur knapp 20 Prozent der Mütter an, dass sich ihr Partner während der Kurzarbeit in gleichem Umfang um den Nachwuchs gesorgt habe. Die zeitweiligen Schul- und Kitaschließungen haben außerdem dazu geführt, dass Mütter Ende 2020 ihre Erwerbstätigkeit im Schnitt um drei Stunden im Vergleich zur Zeit vor der Krise reduziert hatten. Väter hingegen nur um zwei Stunden. Dabei arbeiten erwerbstätige Mütter im Schnitt sowieso schon einen Tag weniger.
Eine der größten Änderungen in der aktuellen Legislaturperiode zur Reduzierung des Gender-Care-Gaps sollte wohl die Einführung der sogenannten Brückenteilzeit Anfang 2019 sein. Diese auf einige Jahre begrenzte Möglichkeit der Teilzeitarbeit, mit weniger Verdienst, sollte vor allem Frauen dazu verhelfen, nach der Kinderbetreuung wieder in den Vollzeitmodus zu wechseln. Vor der Einführung waren sie auf den Willen der Arbeitgeber angewiesen, wieder mehr arbeiten zu dürfen. Allerdings greift die Brückenteilzeit in den meisten Fällen nicht, weil sie nur für Betriebe mit mindestens 45 Mitarbeitenden gilt.

Gerade noch kurz vor Ende der Legislaturperiode wurde am Montag dann doch noch zumindest ein Gesetz zum Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen auf den Weg gebracht, das für eine kleine Reduzierung des Gender-Care-Gaps sorgen könnte. Bei der ungleichen Sorgearbeit gehe es laut Anja Weustoff, Stellvertretendes Vorstandsmitglied des Deutschen Frauenrats, jedoch nicht nur um eine Umverteilung von informeller Sorgearbeit hin zu der von Profis. Auch eine Umverteilung der unbezahlten Pflege- und Hausarbeit zwischen Frauen und Männern sei nötig. Zudem müsse eine Aufwertung sowohl der informellen wie auch der professionellen Carearbeit in den entsprechenden Berufen stattfinden. Laut Bundesagentur für Arbeit haben 2019 in der Kinderbetreuung fast 90 Prozent Frauen gearbeitet. In medizinischen Berufen, der Pflege und im Rettungsdienst sind rund 84 Prozent der Beschäftigten weiblich.

»Wir brauchen viele unterschiedliche Ansatzpunkte«, meinte die Soziologin Karin Jurczyk am Dienstag und nannte bessere Arbeitsbedingungen, gleiche Löhne sowie das Aufbrechen von verengten Geschlechterrollen. Es brauche jedoch Mut zu großen Lösungen. Was in den letzten Jahren von der Bundesregierung gemacht worden sei, »das waren alles sinnvolle Schritte; aber das sind unendlich kleine Schritte, die eigentlich immer so ein Stückchen hinterherhinken«. Auch die aktuelle Debatte um mehr Partnerschaftsmonate in der Elternzeit sei nicht ausreichend. »Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem es umfassendere Lösungen braucht«, erklärte Jurczyk, die bis 2019 Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut war. Eine dieser Lösungen ist laut Jurcyk: »Wir müssen an die Norm der Vollzeitarbeit ran.«

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